Im Labyrinth der Fugge
Beide Briefe verbarg sie in ihrem Ausschnitt. Später würde Hörmann sie aus dem Kloster schmuggeln.
6. Das Antlitz
Unter einem rüschenbehangenen, schwarzseidenen Sonnenschirm geleitete ihn der Kammerdiener des Erzherzogs Ferdinand II. aus dem Innsbrucker Hof. Es nieselte, die ganze Beerdigung über hatte sich der Himmel zusammengebauscht, als würde die Sonne für immer ausgesperrt. Canisius musste zugeben, dass es angenehm war, trockenen Hauptes zur Kutsche zu gelangen. Wenn es nicht schon Canisianen geben würde, dann würde er die Tiroler Sonnengestelle zu Regencanisianen ernennen.
Das Wetter war angemessen für die Beisetzung der Welserin, aber unangemessen für die Jahreszeit. Die Vorzeichen des Himmels ließen sich nicht länger leugnen. Im Frühjahr erfroren die Knospen der Obstbäume und auf dem Bodensee, an dem er auf dem Weg zum Trienter Konzil vorbeigekommen war, schwammen noch im Juni Eisplatten. Der Sommer 1582 war verregnet. Für die meisten war es einfacher zu betteln, als Land zu bestellen. Deshalb war das Reisen gefährlicher geworden, überall lauerten Wegelagerer. Canisius erinnerte sich, dass die Kältezeit mit dem Hagel eingesetzt hatte, als es im Kloster Kühbach brannte, und damit all seine fadenscheinigen Geschäfte zwischen den Nonnen, den Patriziereltern und dem Bistum Augsburg getilgt wurden.
Zwanzig Jahre war es her, dass diese Fuggertrine vom Kirchturm gefallen war. Damals färbte sich der Himmel dunkelgelb und Canisius glaubte, der Erdboden würde sich auftun, seine tollsüchtige Mutter würde ihn holen und hinabziehen. Doch der Boden blieb fest, stattdessen sandte ihm der Herrgott ein Zeichen und half ihm, alles zu vertuschen. Nachdem die eine Fuggertochter tot geborgen, die andere abgeschoben war und die Nonnen in Gebete versanken, schlich er zum Turm, um die Dokumente zu suchen. Er hatte das Mädchen doch im Blick gehabt, wo hatte sie die Spendenbriefe nur versteckt? Noch einmal mühte er sich hinauf. Auch wenn das Weib nicht sieben, sondern acht Öffnungen besaß, hatte sie sie nicht an ihrem Leib verborgen. Arme und Beine verdreht war sie zwischen dem Bauschutt gelegen, keine Papiere weit und breit.
Jeden Stein drehte er um, mühte sich sogar ein weiteres Mal in den Turm hinauf und lupfte abermals das Brett, das ihr den Tod gebracht hatte. Nicht ein Fitzelchen Pergament entdeckte er. Sie musste es unten im Turm versteckt haben, als sie ihm vorausgeeilt war. Er stieg wieder hinab, je tiefer er kam, Stufe um Stufe, um so dunkler wurde es. Es war doch helllichter Tag, kurz vor der Sext. Er suchte nach einem Schwefelstück in seiner Canisiane und entzündete einen Kienspan. Auch zwischen Mörtel, Strohmatten am Fuße des Turms fand er nichts. Als der erste Blitz den Himmel durchschnitt, fiel ihm das brennende Hölzchen aus der Hand. Er starrte in die aufzüngelnden Flammen, die am Stroh leckten und schnell um sich griffen. Erst der Donnerschlag weckte ihn, Schutz vor dem Unwetter zu suchen.
Den rechtgläubigen schickte Gott das Feuer, so hatte er es in seinem Leben erfahren. Aber vielleicht ertrug der Himmel die Laster der Abtrünnigen nicht länger und ließ die Erde langsam erfrieren.
Erzherzog Ferdinand unterstützte ihn seit Jahren in der Ketzerbekehrung und hatte ihn gebeten, die Messe für seine Frau, eine Welserin, zu lesen. Canisius konnte es ihm nicht ausschlagen, obwohl er des Reisens langsam müde wurde. Er stand im sechzigsten Lebensjahr, sah aber dank seiner selbstverordneten Kuren bedeutend jünger aus. Früher war er begierig gewesen, die Welt zu erobern, doch auch das langweilte ihn inzwischen. Bei all dem Herumgehetzte hatte er kaum Muße, die Speisen seiner Gastgeber zu verdauen, schon wurde er wieder in irgendeinem Gefährt durchgeschüttelt.
Als ehemaliger Domprediger von Augsburg war er der Welsertochter auf verschiedenen Festen begegnet, aber die Welser nahmen ihn nicht so begeistert in die Familie auf wie die Fugger. Aus diesem Grund versäumte er den Beginn der Liebschaft zwischen Ferdinand und der Welserin und erfuhr von der heimlichen Heirat nur aus Gerüchten. Ihre eigenen Kinder mussten sie als Findelkinder ausgeben. Nun war sie tot. In der silbernen Kapelle der Innsbrucker Hofkirche hatte der trauernde Gatte eigens ein Grabmal aus weißem Marmor errichten lassen.
Heimliche Leidenschaft, es gibt nichts Stärkeres! Canisius seufzte, kletterte in die Kutsche und lugte noch mal in den dunkelgrauen Himmel. Er war froh, den Innsbrucker Kessel zu
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