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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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zwanzig Jahren gesehen hatte. Was hatte sich alles verändert? Gab es das Turamichele noch? Wenn Bianka da wäre, die würde sich auskennen. Langsam streckte sie die Hand nach dem Schlüsselbund aus. Es war, als würde sie ein glühendes Eisen berühren wollen, etwas in ihrem Innern hielt sie zurück. Nein, auch wenn gerade alles ans Licht kam, ihr Platz war hier. Ein Unglück war es gewesen, das mit Virginia, hatte er gesagt. Sie lief nach draußen. Bestimmt gab es für das Verschwinden der Mitschwestern eine einfache Erklärung wie damals, als eine der Sauen Schwierigkeiten beim Ferkeln hatte. Sie halfen vielleicht im Wirtschaftstrakt und kämen gleich zurück. Das Eingangstor ragte hoch vor ihr auf. Ein kühler Wind wehte, Anna fröstelte. Sie hob die Laterne und beleuchtete die zugemauerte Drehlade im Tor.
    »Psst, Schwester. Macht Ihr mir auf?« Anna ließ vor Schreck fast die Laterne fallen. Hinter dem Tor in der Gasse stand jemand. Sie leuchtete in einen Torspalt und sah einen hellen Strick um die Leibmitte einer schwarzen Kutte. Ein Benediktinermönch begehrte Einlass.
    »Was wollt Ihr so spät?«, fragte sie.
    »Ich will zu Schwester Anna, könnt Ihr mich zu ihr führen, bitte.« Anna seufzte. Sie hatte im Augenblick gar keinen Kopf für eine neue Arbeit. Außerdem war es auch ihr untersagt, einen Fremden ohne Erlaubnis einzulassen. »Wenn es um einen Buchmalereiauftrag geht, kommt ein anderes Mal wieder.«
    »Anna?«
    »Ja?«
    »Bist du es wirklich, ich kann es nicht glauben. Schieb deine Hand durch das Tor.«
    Ach Gott, was erlebte sie heute noch alles. War das einer dieser Gönner, von denen Canisius gesprochen hatte? Seine Stimme klang jung, aber das hieß nichts, Mönche jeden Alters suchten aus Büchern ihre Befriedigung.
    »Erkennst du mich nicht?«
    »Wie sollte ich, ich sehe nur ein Stück Eurer Kutte, Bruder.«
    »Dein Bruder bin ich nicht.« Er beugte sich mit dem Gesicht zum Torspalt. Anna leuchtete in ein Auge, das im Schatten einer buschigen Braue lag, ein Stück einer fein geschnittenen Nase und eine knochige Wange. Er war schön, dieser junge Mönch, jedenfalls der Teil an ihm.
    »Kommt bei Tag wieder. Ich muss jetzt gehen.«
    Er schob seine Hand durch das Loch. Lange schlanke Finger mit dunklen Härchen darauf. Keine Schwielen auf der Handfläche und saubere Nägel. Dieser Mönch arbeitete nicht mit den Händen. Und ein Schreiber war er auch nicht, es sei denn, er schrieb mit der Linken, denn am rechten Mittelfinger fehlte ihm die Hornhaut wie Anna sie hatte. Ein Ring mit einem roten Stein zierte seinen kleinen Finger. »Nimm den Ring und lies die Gravur.«
    Anna zögerte. »Warum sagt Ihr nicht einfach, wer Ihr seid?«
    »Weiß ich, dass du Anna bist und keine andere der Nonnen, die ihr ähnlich sieht und mich verhöhnen will? So gib mir deine Hand, dann würde ich es fühlen, denn einst errettete mich ihre sanfte Hand.« Er wedelte mit den Fingern wie ein Bettler. Sie zog ihm langsam den Ring ab. Ein Schauder durchlief sie, als sie seine zarten Finger streifte. Sie drehte den Ring im Kerzenlicht. ›Der herzliebsten Anna auf ewig, Heinrich v. Ortenburg.‹
    Anna steckte Heinrichs Schmuckstück an den Finger zu Canisius’ Ring. Er passte. Dann lief sie ins Pförtnerhaus und holte den Schlüsselbund.

9. Der Apothekersohn
    Wo war sie hingelaufen? Mühsam raffte sich Canisius auf und klopfte seine Soutane aus. Er war es nicht gewohnt, dass ein Weibsbild ihn sitzen ließ, dazu in demütiger Haltung, wie es vor der Gottesmutter allein gebührte. Aber Anna war die Madonna für ihn, nur schien sie es nicht zu begreifen. Er musste es ihr erneut erklären. Ihre Bescheidenheit sprach für sie. Im Rücken und in den Knien stach und zwickte es, doch innerlich fühlte er sich wie aus einem Jungbrunnen gestiegen. Das Refektorium war menschenleer, auch sonst hörte er im Haus keine Geräusche, außer das Knacken des Ofens, den jemand vor Kurzem geschürt haben musste. Er nahm sich eine Kerze von einem der Tische und entzündete sie. Dann stapfte er den Gang entlang, welche war Annas Zelle? Bestimmt saß sie auf ihrem Bett und grübelte, so, wie er sie kannte. Er lauschte an den Türen, nichts. Selbst als Beichtvater hatte er im Klausurteil nichts verloren, was würde er sagen, wenn man ihn gleich entdeckte? Ein Notfall, gewiss, das war es ja auch. Als Subpriorin bewohnte Anna die Zelle neben der Priorin, deren Kammer kannte er bis zum Überdruss. Schlaff und kraftlos war ihr Leib zuletzt gewesen, so

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