Im Labyrinth der Fugge
Pater Canisius das Salpetergemisch erklärte. Wahrscheinlich hatte Vater alles schon vorbereitet und Philipp brauchte nur noch die letzten Zutaten mischen. Er hatte so erleichtert gewirkt, als sie ihn im Kloster des Mordes beschuldigte und nur den Mordversuch an Heinrich meinte. War er damals zu ihr ins Kloster gekommen, um zu beichten? Dass sie enterbt worden war, hätte er ihr auch in einem Brief mitteilen können. Sie musste den Zwölferrat verständigen. Zwar saßen darin Philipp und Octavian, aber auch sechs Lutherische. Nur, wie sollte sie den Vatermord beweisen?
Sie wollte sich erheben, doch ihre Beine gaben nach und sie fiel aufs Bett zurück. Zitternd tastete sie nach dem Chormantel auf der Stuhllehne, dem letzten Überbleibsel aus ihrem Nonnenleben.
Heinrich stürzte herein. »Severin ist tot.«
»Was?«
»Barbara hat mich geholt. Er liegt in seiner Kammer und …«
Der uralte Baum war gefallen, dachte Anna. »Hat ihn der Schlag getroffen oder ist er einfach so eingeschlafen?«, fragte sie, doch ihre Gedanken waren bei Philipp.
Heinrich setzte sich zu ihr. »Ich habe das hier bei ihm gefunden, das helle Pulver dürfte Arsenikum sein.« Er zeigte ihr ein kleines rundes Kästchen, in einem ähnlichen hatte ihr Vater seinen Kautabak aufbewahrt. Vielleicht schenkte er es Severin einst.
»Arsenikum? Du glaubst, er hat sich vergiftet?«
Heinrich nickte.
»War er etwa krank und wollte keinen Siechentod sterben, davon haben wir nichts gemerkt?«
Heinrich rang mit den Worten. Doch sie wollte keine Zeit mehr verlieren, jetzt wo ihr alles klar geworden war. Es tat ihr leid um Severin, aber sie musste handeln und aufstehen. Heinrich hielt sie zurück.
»Bitte lass anspannen, ich muss nach Augsburg«, flehte sie.
Er umschlang sie. »Darauf warten sie nur, Liebste. Dein Bruder hat sich sogar beim Kaiser beschwert. Der Kurfürst soll dich ausliefern.«
»Der Kurfürst muss mir ein zweites Mal Geleit geben. Kannst du ihn darum bitten?«
»Aber der Rat würde dich in den Kerker sperren lassen. Nur hier bist du sicher!«
Sie ergab sich seinem Griff und schmiegte sich an ihn. Sie sog seinen Duft ein und dachte an damals, als sie sich im Pförtnerhäuschen zum ersten Mal geliebt hatten. »Wegen dem Kaiser bin ich Philipp doch auf die Schliche gekommen«, sagte sie zwischen ein paar Küssen. Sie fühlte sich zwar immer noch schwach, aber wenn er sich zu ihr legte … Sie wollte ihn spüren, überall. Sanft nahm sie ihm das Kästchen aus der Hand. Ihr Blick fiel auf die Gravur auf der Unterseite:
Philipp Eduard Fugger, die Initialen ihres Bruders.
Heinrich strich ihr über das Haar, das seit der Flucht schon schulterlang nachgewachsen war. »Laut Köchin befand sich in diesem Kästchen das Gewürz für das Familienrezept, mit dem Severin deine Suppe verfeinerte. Es tut mir so leid, Anna. Ich habe nicht gut genug auf dich aufgepasst.«
»Nein, nein.« Sie küsste ihm die Tränen weg. »Jetzt ist es vorbei, ich werde wieder gesund, versprochen. Aber wenn ich nicht nach Augsburg fahre und dem Rat sage, was Philipp getan hat, dann bin ich nirgends sicher, auch hier nicht, wie du siehst.«
»Du hast recht, wir sollten uns mit Oheim Ulrich beraten, wie wir vorgehen werden.«
»Wir?«
»Ich begleite dich selbstverständlich, das wirst du mir doch nicht abschlagen, oder?« Sie umschlang ihn und zog ihn zu sich herab. Wie hatte sie seine Wärme und seine Zärtlichkeiten vermisst.
Am Abend vor ihrer Abreise beratschlagten sie zusammen mit Oheim Ulrich den genauen Ablauf. Anna musste inkognito in die Stadt reisen und Philipp sollte unter einem Vorwand ins Rathaus gelockt werden. Darum kümmerte sich Ulrich. Er schickte einen Kurier voraus, der seinen Bruder Marx über alles unterrichten würde. Obwohl ihn Marx damals entmündigen lassen wollte, als er sich mit den Bücherkäufen und anderen Vergnügungen so hoch verschuldet hatte, dass auch er die Handelsgesellschaft zum Schwanken brachte, unterstützte er schließlich Georgs Vorschlag, Ulrich mitsamt den Büchern nach Heidelberg ziehen zu lassen. Hatte er einst noch den Exorzismus an seiner Magd in Altötting gebilligt und sogar eine Kapelle zum Dank für die Bekehrung seiner Familie zum Papsttum gestiftet, so ging ihm mit den Jahren die Frömmigkeit seiner Frau Sibylla auf den Geist. Nachdem Philipp zum Regenten erklärt worden war, hielt sich Marx meist im Ausland auf. Wenn er doch im Stadtpalast am Weinmarkt weilte, lud er wieder lutherische
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