Im Labyrinth der Fugge
ausweichen.
»Welche Acht?«
»Pater Canisius glaubt, der Schlüssel zur Entzifferung deines Stundenbuches seien Zahlen.«
Anna schüttelte den Kopf. »So ist es nicht.«
»Wie dann? Wenn du mir den Codex verrätst, verschone ich deine Familie.« Philipp schob das Kästchen auf dem Pult hin und her.
»Willst du mir einen Handel vorschlagen?« Nun lachte sie. »Wie geht es mit den ›Georg Fuggerischen Erben‹, gibt’s die noch oder hast du die auch, wie alles andere, an die Wand gefahren?« Der Brief steckte zwischen seinen Beinen. Anna gelang es nicht, die Botschaft zu entziffern.
Er erhob sich. Sie presste sich an die Rückenlehne und hielt sich den Ärmel vor die Nase.
»Los, sag es mir, wie entziffere ich dein Teufelswerk? Welche Sprache ist es? Hebräisch, griechisch, französisch?«
Langsam rutschte sie aus der Pultbank und klopfte gegen den Schacht am Kachelofen. Wenige Augenblicke später drängte Oheim Marx mit dem Bürgermeister und einem Büttel in die Schreibstube. Sie umkreisten Philipp. In der Tür wartete Heinrich und hinter ihm die Ratsherren, die alle in zwei anderen Kammern des Stadtpalastes gelauscht hatten. Die Wärmeschächte vom Kachelofen, ausgeklügelt wie die Fuggerische Wasserleitung, hatten ihnen als Hörrohr gedient. Anna war frei.
»Folgt uns in den Ratskeller, Graf«, forderte der Bürgermeister Philipp auf. Ihr Bruder erhob sich zögernd.
Schnell bückte sich Anna zwischen die Männer und hob den Brief auf, der Philipp entglitten war. Sie überflog die wenigen, auf Italienisch geschriebenen Zeilen: Im Haus der Gier war Adelaida gestorben. Weinte Philipp oder spiegelte sich nur die Glut des Kachelofens in seinen Augen? Sie trat zu ihm und sagte: »Der Schlüssel für mein Stundenbuch sind wir: Du und ich. Wir beide spiegeln uns darin.« Dann spürte sie einen Stich im Bauch und sah den Dolch in Philipps Hand. Sie sank auf das Löwenfell.
Heinrich kniete sich zu ihr. Seine Tränen tropften auf ihr Gesicht. »Bleib bei mir, Anna, bitte«, flehte er.
Die Hitze in ihrem Bauch breitete sich aus, und langsam schwanden die bestrumpften Füße der Ratsherren ringsum, auch ihren Bruder konnte sie nicht mehr erkennen. Die ganze Schreibstube löste sich in weißem Licht auf. Selbst Heinrichs Lippen, ganz nah über ihr, wurden blasser und blasser.
»Luzia soll unsere Tochter heißen, Liebster. Luzia, die Lichtbringerin«, flüsterte Anna und atmete ein letztes Mal aus.
ie Sonne brannte durch den Strohhut auf ihn herab. Die Erde im Beet war trocken, er konnte sie mit bloßen Händen entfernen. Wenn es nicht bald regnete, würden all seine Pflanzen verdorren. Erst die Eiszeit und jetzt diese Dürre. Der Wetterrosenkranz jeden Abend hatte nichts genutzt, er musste Pater Canisius um eine Gartenprozession bitten. Doch der war mit der Einweihung des Augsburger Jesuitenkollegs beschäftigt. Sogar Lutherische sollten nun dort aufgenommen werden. Endlich hatte er die Dokumente beisammen. Wenn alles glatt ging, würde die gesamte ›Bibliotheca Palatina‹ am Heidelberger Kurfürsten vorbei nach Rom überführt werden. Dann würde Philipp für den Vatermord Absolution erhalten, vom Papst persönlich. Er legte Annas Stundenbuch in die Grube und setzte den Rosenstrauch darauf, den er gezüchtet hatte. Sanft strich er über die Stacheln von ›Adelaida‹. Dann würde auch sein innerer Stachel Frieden finden. Für die Erlassung sämtlicher Schulden hatte ihm der Rat die peinliche Befragung und die Verurteilung erspart. Noch am selben Tag zerriss er alle Schuldscheine. Auf seinem Landsitz, Schloss Weißenhorn, Oheim Christophs Hinterlassenschaft, konnte er das sein, was er immer gewollt hat: Ein Gärtner.
Nachwort:
Pater Canisius wurde 1925 heiliggesprochen. Ob bei seinen Teufelsaustreibungen wirklich jemand ums Leben kam, ist nicht belegt.
Anna Jakobäa Fuggers Flucht aus dem Kloster sorgte damals in Augsburg für einen Skandal, der sich auch in einem über achtzig Seiten langen Kopialbuch im Fugger-Archiv nachlesen lässt. Der lange Originalbrief, worin Anna vom gewaltsamen Einsperren ins Kloster, ihrem Leben dort und den Umständen ihres Entkommens berichtet, findet man in Martha Schads Buch: ›Die Frauen des Hauses Fugger von der Lilie‹ (s. Literaturangaben). Annas Tochter, Luzia Euphemia, machte ihrem Namen als Lichtbringerin alle Ehre und rettete als Gräfin Ortenburg im Dreißigjährigen Krieg vielen Menschen das Leben.
Um den Reichtum der Fugger ranken sich
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