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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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Blatt vollgekritzelt war, warf sie es durch die Schießscharte in der Wand, wo die Blätter irgendwo in der Gasse vor dem Grundstück herunterflatterten. Winterluft umwehte sie, und ein Streifen Tageslicht erhellte das Schreibpult. So konnte man ohne Kerze und Luftmangel im Geheimen lesen. Nun schien ihr diese Nische beklemmend klein und eng, als sie sich mit dem Buch hineinzwängte, erinnerte sie an eine aufrechtstehende Truhe. Sie keuchte plötzlich und begann zu zittern. Trotzdem versuchte sie sich auf den Titel der Handschrift zu konzentrieren: ›Liber divinorum operum‹. Das hieß so viel wie ›Buch der Götter und ihrer Werke‹. Na, endlich mal nichts vom Teufel, dachte Anna. Sie hörte Stimmen, hastig zog sie die Nischentür zu.
    »Wer den Höllenfürst einmal eingelassen hat, wird erst geläutert werden müssen. Ich danke Euch, Graf, dass Ihr einwilligt, Eure Bibliothek zu reinigen.«
    Wollte Canisius die Regale abstauben?
    »Tut, was Ihr nicht lassen könnt, meiner Frau zuliebe.« Die Stimme ihres Vaters. »Werft von mir aus alles von Luther auf den Scheiterhaufen. Aber rührt die übrige Sammlung nicht an.«
    »Wo denkt Ihr hin, Graf. Ich schätze die Buchkunst wie Ihr und werde keines Eurer wertvollen Bücher beschlagnahmen. Lediglich einen Stempel werde ich hineindrücken, wenn ich ein Buch für Eure Töchter und Eure Frau geeignet halte.«
    Wie konnte sie sich nur selbst einsperren? Anna war wieder gefangen. Es war unbewusst geschehen, als würde sie bei etwas Verbotenem ertappt. Ihre Schläfen pochten, ihr war heiß und kalt zugleich. Sie versuchte den Kopf zur Schießscharte zu recken, damit ihr nicht schlecht wurde. Doch der Saum ihres Kleides hatte sich in der Nischentür verklemmt. Hoffentlich sah man ihn in der Bibliothek nicht. Auf der aufgeschlagenen Seite der Handschrift war ein Mann als roter Kreis mit Kopf, Armen und Füßen abgebildet. Aus dem roten Kopf schlüpfte ein bärtiger Kopf, der vielleicht Gott darstellen sollte. Im runden Mann war noch mal ein Mann, nackt, von regnenden Wolken umgeben. Goldene Striche durchkreuzten ihn, die aus Tierköpfen entsprangen. Sternzeichen? Die Klosterschwester, namens Hildegard von Bingen, hatte sich selbst klein, an einem Pult schreibend, an den Bildrand gemalt und sah zu ihrer Schöpfung auf. Wie oft hatte Anna nach Abbildungen von Nackten gesucht und hier hatte sie nun eine, groß und in Farbe, wenn auch das, was sie sehen wollte, kleiner als der kleine Finger des Nackten war. War die Schamkapsel des Mannes also nur Blendwerk? Die Nonne Hildegard hatte vermutlich das männliche Geschlecht auch nie in Wirklichkeit gesehen.
    »Welches ist der Schwerpunkt Eurer Sammlung, Graf?«, hörte sie Canisius fragen.
    Anna vernahm Schritte. Ihr Vater führte den Pater herum. »Hier findet Ihr meine Fecht-, Ringer- und Turnierbücher, die dürften frei von ketzerischem Gedankengut sein. Darunter das Falkenbuch Kaiser Friedrichs des Zweiten, das ich zu meiner Freude vor Kurzem ersteigerte. Ein Lehrbuch über die Jagd mit Raubvögeln aus dem dreizehnten Jahrhundert. Wollt Ihr mal einen Blick hineinwerfen?«
    »Bei anderer Gelegenheit gerne, Graf, ich widme mich lieber dem Menschen und seiner Seele und überlasse das Tierreich mit seinem Gewürm Gott allein.«
    »Ohne Regenwurm keinen fruchtbaren Boden, Pater, fragt meinen Ältesten.« Vater lachte. »Dann habe ich hier eine Reihe mathematischer, astronomischer und astrologischer Bücher oder hier die naturwissenschaftlichen. Auch dies dürfte für Eure Zwecke unbedeutend sein?«
    »Ganz recht, lieber Graf. Ihr versteht mich. Ich möchte Erbauungsliteratur für Eure Töchter auswählen, Bücher über Sternenkunde sind mir deshalb kaum geeignet. Gerade Eure Anna scheint mir sehr wissbegierig und sollte auf den richtigen Weg gebracht werden.«
    »Mir ist es immer eine Freude, wenn sie mir hilft.«
    »Wobei, Graf, wenn ich fragen darf?«
    »Ach, bei diesem und jenem …«, antwortete ihr Vater ausweichend. »Da fällt mir ein, dass eine Klosterschwester vor über hundert Jahren auch schon in die Sterne geschaut hat. Dieser Codex hat mich ein Vermögen gekostet, wartet, wo habe ich ihn …«
    Hildegards kosmisches Bild klebte an Annas schwitzigen Händen. Die Wolken und Linien waren verschmiert. Wie viele Gulden hafteten nun an ihr?
    »Für Anna wäre Unterricht in weiblicheren Tugenden ratsamer«, schlug Canisius vor.
    Ihr Vater lachte auf. »Ich hoffe doch, dass Annas Bräutigam kein Esel sein wird und sie sich

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