Im Labyrinth der Fugge
weiter mit ihm über die Künste austauschen kann.«
»Etwa die Kunst des Bierbrauens? Eure Tochter ist auch in der Bildenden Kunst begabt, es gäbe da schon gewisse Möglichkeiten sie zu schulen, ohne ihr Talent zu vergeuden. Seit der Leibhaftige in Eurer Küche Einkehr hielt, scheint sie etwas zu verbergen. Ist Euch das nicht aufgefallen?«
»Was meint Ihr, Ihr kanntet Anna doch vorher nicht?«
»Es gibt zwei Gruppen von Besessenen. Wenn ich es Euch kurz erläutern darf …«
Annas Beine waren eingeschlafen. Vorsichtig stampfte sie mit den Füßen auf. Ameisen schienen unter ihrer Haut zu krabbeln.
»Die Besessenheit fängt mit einem beißenden Kribbeln an. Alle Glieder pochen. Der Delinquent spürt unerträgliche Stiche, kann nicht mehr auftreten. Ihm wird heiß vom Kopf bis zu den Sohlen.«
Was redete der Pater da?, fragte sich Anna. Als könne er sie sehen. Sie hatte Durst, ihre Kehle fühlte sich trocken an, schnell streckte sie sich zur Schießscharte, so weit es ging, und sog die Kälte ein.
»Blasen steigen auf und zergehen auf der Zunge. Das Höllenfeuer breitet sich aus. Die Vielzahl der Geister, die in den Leib gedrungen sind, blähen die Zunge auf und trocknen den Hals aus.«
Mit den Ellbogen stützte Anna sich auf die Handschrift, verschmierte mit ihrem Ärmel Hildegards Kosmos und presste sich die Fäuste an die Ohren.
»Porca miseria«, zischte sie leise. Die besten Schimpfwörter fielen ihr nur auf Italienisch ein.
Canisius schien dicht vor ihrer Nischentür zu stehen. So hörte sie ihn doch. Ihr lief es kalt den Rücken hinunter.
»Eiswasser rinnt den Buckel hinab, zugleich durchbohrt das Gehirn pochender Kopfschmerz. Die Besessenen schlagen die Fäuste dagegen, glaubt mir, ich habe es viele Male erlebt. In ihren Bäuchen hausen Spinnen, Würmer, Kröten, Schnecken. Erst wenn die Austreibung beginnt, erbrechen sie das Gewürm, Eidechsen, Mäuse, Katzen …« Canisius verhaspelte sich fast beim Reden.
»Genug, Pater«, donnerte ihr Vater. Anna zuckte zusammen. »Ihr solltet damit auf dem Markt auftreten. Zuschauer wären Euch gewiss. Sagt, was hat das alles mit meiner Tochter zu tun?«, fragte er etwas milder.
»Mehr als Ihr ahnt, lieber Graf. Mir ging es anfangs ähnlich wie Euch«, erwiderte Canisius. »Bis ich einer Besessenen begegnete.«
»Ihr spracht von zwei Gruppen. Was spucken die anderen? Bären und Drachen vielleicht?«
»Spottet nur.« Canisius’ Stimme hatte den sanften Klang verloren. »Mit dem Glauben ist es hier im Hause nicht weit her. Wie hätte auch sonst der Beelzebub in der Küche fuhrwerken können.«
»Ach, hört auf«, rief Annas Vater. »Das war doch nur irgendein Liebhaber der Magd, dem sie mehr versprach, als sie geben wollte. Natürlich wäre es besser für Anna gewesen, sie hätte das nicht miterlebt, aber sie wird eben erwachsen und früher oder später …«
»Seid versichert«, unterbrach Canisius. »Ich habe unzählige Exorzismen selbst durchgeführt und auch Ihr werdet es erleben.«
»Ihr wollt hier in Augsburg den Teufel austreiben?«, Vater gluckste.
»Eure Frau besteht darauf. Und glaubt mir, die Fähigkeit eines Exorzisten ist es, mehr zu sehen als andere gewöhnlich Sterbliche.«
Anna hätte am liebsten um sich geschlagen. Ihr Vater verhöhnte den Pater und ihre Mutter wollte ihr den Teufel austreiben. Anstatt, dass Vater eingriff, erheiterte es ihn. Testa di cazzo, zischte sie auf Italienisch. Maledetto!
»Die zweite Gruppe spricht unbekannte Sprachen. Ungebildete offenbaren Geheimnisse, Zukunftsvisionen. Sie gelangen dabei in anfallartige Erregung, der nicht mal die stärksten Männer Einhalt gebieten können. Dabei hören sie eine innere Stimme, die sie auffordert, zu sündigen. Die schlimmsten Sünden, Todsünden …«
»Genug.« Vater verlor die Geduld.
»Sie sind stumm, blind, lahm, taub und gelähmt, wenn der Gottgeweihte ihnen die Hand auflegt …«, Canisius faselte weiter.
»Pater!«
»… meinen, ein Felsblock zermalme sie.« Canisius fuhr unbeirrt fort. »Wollt Ihr erfahren, dass ich mehr sehen kann, als Ihr?«
»Ich habe es begriffen. Lasst es gut sein. Was ist mit den Büchern, wenn Ihr …«
»Ich spüre, dass hier noch jemand im Raum ist, Graf.« Mit diesen Worten riss Canisius die Nischentür auf und Anna blinzelte ihrem Vater entgegen.
»Du hier?« Ihr Vater breitete die Arme aus.
Schnell schlug sie die verschmierte Handschrift zu.
Er wandte sich an Canisius: »Pater, wenn Ihr mich nun entschuldigt.
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