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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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Schreibpult, hinter einer anderen ein schmales Fenster, hinter einer dritten eine Stiege in einen Geheimgang. Anna war sich nicht sicher, ob sie in den letzten Jahren schon alle Geheimtüren entdeckt hatte, denn die Regale waren mit Intarsien geschmückt. Optische Täuschungen ließen den Eindruck von Unordnung zwischen den Büchern entstehen. Ein geöffnetes Schränkchen hinter dem ein Totenschädel grinste. Wenn Anna es berührte, war da nur eine glatt polierte Holzoberfläche. Andere Tafeln bildeten kleine Einschübe ab, mit wunderlichen Gegenständen gefüllt, ein vielzackiger Stern, über dem eine Kugel in einem Käfig schwebte oder ein Wasserfall, der über ein Mühlrad und dann in einen Brunnen lief, aus dem ein Rohr führte, dessen Wasser wieder in den Fluss zum Wasserfall in einem ewigen Kreislauf floss.
    Das oberste Bord zierte eine Einlegearbeit aller Fuggerhäuser der Welt bis nach Yucatán. Wo das lag, hatte Anna in einem großen Folianten nachgeblättert, der sich Weltchronik nannte und sich auf dem Schreibpult kaum aufschlagen ließ. Darin waren die Länder der Erde aus Vogelsicht abgebildet. Die alten Länder hatten die Umrisse einer Frau. In Westindien sprangen nur mit Federn bekleidete Menschen herum. Waren das Paradiesvogelfedern? Die Fuggerfamilie betrieb auch in die neue Welt einen Handelsweg. Anna würde nur in Büchern dorthin reisen können.
     
    Anna strich über die Buchrücken. Vater schränkte nie ein, was sie lesen oder betrachten durfte, verlangte nur, dass sie die Bücher wieder zurückstellte.
    »Was nicht für dich ist, langweilt dich und du liest es sowieso nicht«, war seine Ansicht. Dass manche der Abbildungen, wie die Hinrichtungsarten oder die Darstellung der Hölle, Anna noch in ihre Träume folgten, verschwieg sie ihm.
    Sollte sie nach einem Buch über Handlesen und Wahrsagerei suchen oder nach einem Vogelbuch, um einen Paradiesvogel zu finden? Hatte ihr Vater was über Wie-befreit-man-eine-Gefangene-aus-dem-Ratskeller? Oder Wie-beseitigt-man-eine-Leiche-spurlos? Bestimmt gab es das hier irgendwo und Vater besaß wahrscheinlich auch eine Geheimnische für seine verbotenen Bücher. Verbotene Bücher, was war das eigentlich, durfte man nicht alles wissen? Seit Canisius im Haus war, war ›verboten‹ und ›unzüchtig‹ oft zu hören. Die Unschicklichkeitsliste war lang, für Frauen noch länger, sogar Lesen und Schreiben gehörte jetzt dazu. Darüber hinaus gab es ein weiteres Wort, das Celia verwendet hatte: ›Beiwohnen‹, man war dabei, jedoch betraf es einen nicht selbst, so wie ›sich hergeben‹. Konnte das so sein, wenn ein Mann mit einer Frau zusammen war? Bisher hatte sie es sich immer nur als innigstes Glück vorgestellt von jemandem gestreichelt und geliebt zu werden, doch seit der Teufelsnacht wusste sie, dass ein Mann eine Frau auch mit Gewalt nehmen konnte.
    Trotz allem stellte sie sich Fremde nackt vor, was bei den vielen Kleiderschichten, Einlagen, Wattierungen und Pressplatten, die die meisten trugen, nicht leicht war. Der Pelzhändler mit seiner Schubkarre, den sie von der Kutsche aus gesehen hatte, wie er vor der Einfahrt zur Kleesattlergasse stand und vor sich hin sinnierte. Sein breiter Leib war bestimmt behaart wie bei einem Bären. Hatte er eine Frau, die sich auf ihn legte wie auf eine wollige Decke? Auch Pater Canisius stellte sie sich vor, doch dessen Nacktheit löste sich in gelbem Urindunst auf. Manchmal erwachte sie nachts, froh von keinem Teufel geträumt zu haben, sondern von einem gesichtslosen nackten Mann, der sie niederdrückte. Wie würde sich das anfühlen, wenn er in sie eindrang? Würde sie schreien wie Schellebelle? Dann versuchte sie es selbst mit den Fingern. Es war kaum auszuhalten. Ihre Scheide war viel zu eng. Wenn das Kinder zeugen schon so weh tat, wie sollte erst ein ganzes Kind da durchpassen. Sie hatte es bei Heinrichs Mutter erlebt, die hatte zwar geschrien und geblutet, aber lebte noch. Und ihre eigene Mutter hatte bald die dreizehnte Geburt. Vielleicht brauchte sie deshalb die eisernen Brustplatten, damit sie nicht auseinanderfiel.
    Anna zog eine bebilderte Handschrift aus dem Regal, Visionen einer Klosterschwester waren darin.
    Sie öffnete die Geheimnische mit dem Schreibpult. Ein schräges Tischchen mit Klappdeckel und angebautem Stuhl waren vollkommen darin eingepasst. Wie oft hatte sie sich hierher zurückgezogen und Einsiedlerin gespielt, die ihre Ideen und Gedanken für die Menschen draußen festhielt. Sobald ein

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