Im Labyrinth der Fugge
warum kann ich nicht zu Oheim Christoph? Ich will kein Mönch oder Pfarrer werden, bitte.« Wen er anflehte, konnte Anna nicht erkennen. Vater, Mutter oder Pater Canisius? Dann schloss jemand die Tür und Beata schob sie weiter.
»In welches Kloster werden wir gebracht?« Sie würde sich einfach weigern, würde wie ein Felsen hier stehen bleiben und keinen Schritt weitergehen oder besser umdrehen und sich in der Kammer verschanzen. »Ich bleibe hier«, sagte sie schlicht. Severin packte sie. Anna krallte sich am Geländer fest, Severin löste geduldig ihre Finger. Sie wickelte ihre Beine um die Stiegenpfosten. Severin und die Zofe keuchten. Anna schlug um sich, biss, kratzte, strampelte, doch der Diener zerrte sie mit Beatas Hilfe die Stufen hinunter durch den Torbogen nach draußen.
»Mutter! Vater! Das könnt ihr nicht wollen!« Hinter einigen Fenstern flackerte Licht. Aber die Vorhänge waren dicht zugezogen. Die Zofe hielt die Kutschentür auf, Severin wollte Anna mit den Füßen voran hineinschieben. Anna klammerte sich an Speichen, Bügel und Griffe, krallte sich ins Holz.
Plötzlich kam Mutter durch die offene Haustür gestürmt. Ursula sah sie nicht an, murmelte wahrscheinlich irgendeinen Psalm: »Gott vergib mir, dass ich meine Kinder verbanne, dass ich sie fortbringen lasse und wegsperre.«
»Nein, Mutter«, schrie Anna, »Gott vergibt dir nicht für das, was du uns allen antust, du wirst in der Hölle schmoren. Ich hasse dich, ICH HASSE DICH!«, brüllte sie.
Bei dem Wort ›Hölle‹ schaute ihre Mutter sie an, zum ersten Mal, ihr Mund bewegte sich nicht mehr. Sie trat vor, Anna dachte, jetzt befreit sie mich, sie schubst Severin und Beata weg und schickt mich nach oben. Sie wollte fast schon auflachen. Da spürte sie einen Schlag in den Rücken, einen Klatscher ins Gesicht, ihre Mutter half der Zofe und Severin, sie in die Kutsche zu verfrachten. Anna glaubte, jemand reiße ihr alle Gliedmaßen aus den Gelenken. Zu dritt zwängten sie sie hinein und hakten die Kutschentür von außen zu. Ihre Geschwister, Mechthild, Julius, Albert rührten sich nicht. Der Schlaftrunk! Das war der Grund. Anna fiel auf Virginia. Die Fenster waren von außen mit Stoff zugenagelt worden, doch durch einen ganz schmalen Ritz konnte sie Sidonia sehen, die aus dem Haus gerannt kam, als die Kutsche anfuhr. Severin hielt sie an den Armen zurück. Und zwischen den Rocksäumen ihrer ältesten Schwester sprang noch etwas Kleines hindurch mit einem langen Schwanz und einem breiten plissierten Kragen: Donna. Die Kutsche setzte sich in Bewegung und überrollte die Affendame mit einem winzigen Ruck.
3. Die Acht
Was bildete sich dieser Fugger nur ein, ihm mit seiner Mutter zu drohen! In seinem Schlafgemach warf Canisius den Schleifstein in den Nachttopf, dass es spritzte. Er war aufgebracht, wie schon lange nicht mehr. Mutter, die Bezeichnung passte gar nicht zu der Kreatur, die da im Holzkäfig hauste. Eine Mutter war sie für ihn nie gewesen, abgesehen davon, dass er sich mal eigenhändig zwischen ihren Beinen hervorgezwängt hatte. Übel wurde ihm bei dem Gedanken an ihre entblößten Schenkel unter dem löchrigen Fetzen, den sie getragen hatte, als er sie vor einigen Jahren das letzte Mal sah. Bleich wie der Mond, der den Tollkäfig anleuchtete und mager wie blanke Knochen. Er stand im zweiundvierzigsten Lebensjahr, somit musste sie jetzt an die siebenundfünfzig sein. Eine Greisin! Der Fugger hatte sich bestimmt einen Scherz erlaubt.
Canisius fischte den Schleifstein aus dem Nachttopf, schüttelte ihn aus und begann den Silberdolch zu schärfen. Beinahe sein Leben lang hatte er geglaubt, seine Mutter sei tot. Seinen ersten herausgefallenen Zahn wollte er ihr eines Morgens zeigen, da fing ihn sein Vater vor der Schlafkammer ab. Sie sei an den Blattern gestorben, sagte er, und wegen der Ansteckung sofort weggebracht worden. Blattern, wie schrecklich, wuchsen die über Nacht? Am Abend war ihr Gesicht noch makellos gewesen. »Vater, du bist doch Apotheker, kannst du sie nicht heilen?«, fragte er. Aber Vater schüttelte den Kopf und schickte ihn hinaus.
Kurz vor der Priesterweihe besuchte er seinen Vater ein letztes Mal und fand auf dem Schreibtisch im Ratszimmer diesen Brief, unterzeichnet von einem Wohltäter. Jemand versuchte seinen Vater mit seiner besessenen Frau zu erpressen. Dabei hatte der Bürgermeister persönlich die Käfige über dem Graben an der Außenseite der Stadtmauer anbringen lassen. Noch in der Nacht war
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