Im Labyrinth der Fugge
Nachforschungen haben etwas anderes ergeben.« Der Fugger klopfte mit den Fingerspitzen auf die Leintücher. »Sie lebt noch, na ja, sagen wir, vegetiert vor den Toren von Nimwegen.«
»Ihr wart in meiner Heimatstadt?«
Der Graf schnalzte beschwichtigend mit der Zunge.
»Ihr habt doch nichts geerbt von ihrer Narretei, sonst muss ich Euch auch in einen hölzernen Käfig sperren lassen. Baldige Besserung«, sagte er und stützte sich mit seinem ganzen Gewicht auf Canisius’ verletzten Fuß.
2. Die Saligen
Anna hörte Schritte im Flur, die Zofen liefen geschäftig hin und her und flüsterten. Wahrscheinlich scheuchte sie Ursula mitten in der Nacht wegen Belanglosigkeiten herum. Es klang wie das Virginal, das sie schon so lange nicht mehr gehört hatte. Die Tonleiter, tipp-tipp, tapp-tapp trippelten sie, die Stufen hinauf und hinunter. Wann hatte Virginia das letzte Mal gespielt?
»Gnädiges Fräulein, Contessa Anna, steht auf.« Im flackernden Licht einer Öllampe sah Anna in die stark zerfurchten Züge einer Frau mit weißen Haaren, sie zuckte zusammen. Eine warme weiche Hand legte sich auf ihren Arm. Es war Beata, die Zofe ihrer Mutter. Als Anna klein war und nicht einschlafen konnte, war sie oft zur Schlafkammer ihrer Mutter gelaufen, doch Beata hatte sie abgefangen und ihr Märchen erzählt. Sie kam wie Ursula aus Südtirol und lebte seit der Hochzeit von Annas Eltern in Augsburg. Sie erzählte von den ›Saligen‹ und danach konnte Anna meist erst recht nicht mehr einschlafen. Auch wenn Beata ihr beteuerte, dass die ›weisen Frauen‹ nur Jünglinge in das ewige Reich des Berges hinabziehen würden und erst wieder hergaben, wenn die Welt sich verändert hatte. Ach, wäre Beata doch eine ›Salige‹ und die Welt hätte sich verändert. Schellebelle war tot. Anna ließ sich zurückfallen. Doch Beata zog sie hoch. Anna wand sich. »Lass mich, was fällt dir ein.«
»Macht Euch reisefertig, Contessa«, sagte Beata. »Nutzt die Gelegenheit und packt ein paar persönliche Dinge ein.«
Reisen? Beata entnahm Annas Truhen einige Kleider.
»Alfo, find wir fo weit?« Anna erschrak. Severin trat an ihr Bett und sogleich hüllte sie sein Mundgeruch ein. Noch nie war der Diener in ihre Schlafkammer gekommen. Er wollte ihr beim Aufstehen helfen. Schnell rollte sie sich auf der anderen Seite des Bettes hinab. Sie ahnte, wohin sie gebracht werden sollte. Hastig ließ sie den Blick durch die Kammer gleiten. Was war ihr das Liebste? Die schwarzen Blätter auf ihrem Schreibpult, der Stapel alter Skizzen, ihr Silberstift und die Tusche. »Wohin fahren wir?«, fragte sie Beate und versuchte Severin nicht zu beachten, der dicht hinter ihr stand. Apfelwasser half gegen Mundgeruch, hatte Schellebelle gesagt. Anna schluckte.
»Ich habe nur Anweisung, Euch beim Ankleiden zu helfen, Contessa. So kommt bitte.« Wenigstens wartete Severin solange draußen.
Anna ließ sich aus- und wieder ankleiden wie ein Kleinkind. Beata flocht ihr die Zöpfe neu und drehte sie zu zwei Schnecken dicht am Kopf. Würde sie je wieder schreiben und malen? Anna packte den Käfig mit Donna, die sich an die Gitterstäben klammerte und mit großen Augen das Geschehen beobachtete.
»Der Affe muss hier bleiben, Contessa, tut mir leid.«
»Contessa, Contessa«, maulte Anna. Was nützte es eine Grafentochter zu sein, wenn sie gegen ihren Willen fortgeschickt wurde. Nach einer Bildungsreise sah das nicht aus. Anna öffnete die Käfigtür und liebkoste Donna. Sie spürte den schnellen Herzschlag des Äffchens an ihrem Mund. »Warte auf mich, Kleine, ich bin bald zurück«, flüsterte sie ihr ins Fell. Vom Frisiertisch gab sie Donna den kleinen Handspiegel, um sie abzulenken. Das Äffchen hielt den Spiegel erst verkehrt herum zwischen den Pfoten, kaute darauf und wollte ihn schon fallen lassen. Dann drehte es den Spiegel um und sah hinein. Als es sich selbst erblickte, sprang es laut kreischend zurück, ließ den Spiegel auf den Boden fallen, wo er klirrend zersprang.
Wieder drängte Severin klopfend an der Tür.
Beata schob Anna in den Flur. »Eure Geschwister wurden bereits in die Kutsche gebracht, bitte seid leise und weckt sie nicht auf.«
Auf den Stufen hörte sie Geheul. Es kam aus dem Salon. Das war doch Philipp, der da flennte.
»Nun kommt.« Beata zog sie weiter.
Anna spähte in die halb offene Salontür.
Philipp kniete am Boden, Rotzfäden troffen von seiner Nase. Sein Gesicht war rot verschmiert. »Bitte, bitte schickt mich nicht nach Rom,
Weitere Kostenlose Bücher