Im Land der Kaffeeblüten (German Edition)
fragen würde ähnlich enden. Nur dass Johann Hohermuth seine Tochter mitten im Satz stehen lassen würde, weil ihm etwas Wichtiges eingefallen war.
Sie unterdrückte ein Schluchzen. Wie schön war ihr Leben in Bremen gewesen, in dem großen alten Haus von Großmama und Großpapa, mit vielen Büchern und allem Komfort, den die moderne Welt zu bieten hatte. Elises Eltern waren ab und an zu Besuch gekommen und hatten seltsame Geschenke mitgebracht: riesige Muscheln oder Schnitzereien von fremdartigen Göttern. Sie hatten ausführlich von ihren Abenteuern berichtet und waren dann zu einer weiteren Forschungsreise aufgebrochen.
Eines Tages hatten sie sich übertroffen und sogar einen Jungen von ihrer Reise mitgebracht.
Georg. Elises Herz schlug schneller, wenn sie jetzt an ihn dachte. An ihre erste Begegnung.
Der magere Junge hatte damals fassungslos die Pracht des Bremer Hauses bestaunt. Immer wieder hatte Elise ihn über die Flure schleichen sehen. Leise und vorsichtig wie ein Kater. Immer bereit, bei Gefahr aufzuspringen und davonzulaufen. Georg hatte kaum etwas zu ihr oder den Großeltern gesagt und so hatte Elise ihre Eltern nach ihm ausgefragt.
Henni und Johann hatten den Jungen gefunden, der sich auf den Straßen Kairos durchschlug und völlig ausgehungert in einer Hausecke saß. Sein flehender Blick hatte ihr Herz gerührt und sie hatten ihn einfach mitgenommen. Georg sprach gebrochen Deutsch, das hatte ihm sein Vater beigebracht. Seine Mutter war Ägypterin, von ihr hatte er die auffallend dunklen Augen geerbt. Sie war, wie er erzählte, an einer Krankheit gestorben, als Georg elf Jahre alt war. Henni und Johann hatten versucht, etwas über seine Familie herauszufinden, doch das Schicksal seines Vaters blieb im Dunkeln. Voller Dankbarkeit für seine Rettung und die Zuwendung, die die Hohermuths ihm entgegenbrachten, folgte er ihnen und bemühte sich, zu einem Entdecker zu werden wie sie. Darüber, wie er in Ägypten gelebt hatte, hüllte sich Georg in tiefes Schweigen. Wenn man ihn darauf ansprach, schien sich ein Vorhang zu senken und ließ eine bittere Zeit erahnen, die der Junge offenbar verdrängen wollte.
Georg war der Sohn, den sich ihre Eltern immer gewünscht hatten. Mutig, intelligent und voller Begeisterung für Reisen in ferne Länder. Elise fühlte sich ihm anfangs unterlegen und konnte ihn bei ihrer ersten Begegnung nicht leiden. Aber eigentlich, so redete sie sich ein, war es ihr egal, da ihre Eltern und Georg ohnehin ständig unterwegs waren.
Vor einem Jahr hatten Johann und Henni jedoch das Herz für ihre Tochter entdeckt und Elise das erste Mal auf eine Reise mitgenommen. Nach Ägypten, um Pyramiden und alte Steine zu erforschen. In ein Land ohne Badezimmer – jedenfalls dort, wo Elise wohnen musste –, aber mit riesigen Spinnen, gefährlichen Skorpionen und tödlich giftigen Schlangen. Georg hatte sich in dem fremdartigen Land wie zu Hause bewegt, weshalb sich Elise noch mehr fehlam Platze gefühlt hatte. Sie hatte erwartet, dass ihre Eltern erkannten, wie wenig ihr an Abenteuern lag. Doch Henni und Johann bestanden darauf, sie erneut auf eine Expedition mitzunehmen – diesmal allerdings auf eine unendlich lange Reise und in ein Land, das weitaus bedrohlicher war als Ägypten. Guatemala. Und deshalb musste sie nun vier Wochen ihres Lebens auf diesem Dampfschiff verbringen.
Vier Wochen mit Georg. Zu ihrer Überraschung hatte Elise eines Morgens in Ägypten ein Kribbeln im Bauch gespürt, als sie ihn sah. Von da an suchte sie immer öfter seine Nähe und betrachtete plötzlich argwöhnisch alle Mädchen, die ihm zulächelten. Aber Georg sah in ihr nur die kleine Schwester, die er beschützte und ab und zu neckte. Vielleicht konnte sie ihn ja in Guatemala für sich einnehmen. Mit dieser Hoffnung im Herzen gelang es Elise, der Reise wenigstens etwas Gutes abzugewinnen.
Das Klopfen an der Kajütentür ließ sie zusammenzucken. Mussten etwa alle Reisenden in die Rettungsboote evakuiert werden, weil das Schiff sank?
11
Margarete starrte ins Wasser, das dunkel, beinahe schwarz, vor ihr lag. Nur die weißen Schaumkronen, die das Dampfschiff vor sich herjagte, setzten helle Akzente. Leise rollten die Wellen an das Weiß der Schiffswände, schienen sie zu rufen. Sie hob den Kopf und schaute nach oben. Sternenklar war die Nacht. Nur einige wenige Wolken zogen über den Himmel und verbargen die Sterne für einen Moment. Wie hießen sie noch? War das der Große Wagen oder der Große Bär?
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