Im Land der Kaffeeblüten (German Edition)
schwang sie sich auf die Reling.
»Halt!«, rief eine Stimme hinter ihr.
So unverhofft angesprochen, zuckte Margarete zusammen und verlor das Gleichgewicht. Sie ruderte mit den Armen, aber zu spät. Mit einem Schrei stürzte sie in die Tiefe.
12
Heute haben Georg und ich ein Leben gerettet. Was für eine Aufregung. Margarete Seler heißt sie. Eine Deutsche, die in Guatemala aufgewachsen ist. Oder ist sie eine Guatemaltekin mit deutschen Vorfahren? Wie kompliziert, wenn Auswanderer mit im Spiel sind.
An ihr kann ich mein Spanisch erproben (ich beneide sie, sie spricht fließend Deutsch und Spanisch) und von ihr mehr über das Land erfahren. Falls sie sich dazu herablässt, mit mir zu sprechen. Ist sie doch die Tochter eines reichen Plantagenbesitzers. Finquero hat sie gesagt. Das klingt gleich viel schöner. Dabei ist ihr Vater nur ein Bauer, der Kaffee statt Weizen oder Rüben anbaut.
E lise schüttelte den Kopf und ein dicker Tintentropfen lief auf das Papier und ließ das letzte Wort zu einem dunklen Fleck verschwimmen. Einem Fleck, so düster wie Elises Stimmung. Sie drehte die Schreibfeder zurück in den Schaft und legte ihren Kaweco-Füller neben das schwarze Heft, in dem sie jeden Abend ihre Gedanken festhielt.
Elise nahm ein Blatt Löschpapier und versuchte, das Wort zu retten, aber es war verpfuscht. Warum nur ließ sie sich von Margarete Seler so beeindrucken? Von einem Mädchen, das sich ins Meer stürzen wollte.
»Lass uns das Schiff erkunden«, hatte Georg gesagt, der an ihre Kajütentür geklopft und all ihre Einwände einfach vom Tisch gewischt hatte. Er hatte sie an der Hand hinter sich hergezogen. »Komm, sei ein Mal mutig.«
Einige Male mussten sie sich in dunkle Ecken ducken, damit Matrosen sie nicht entdeckten. Elise rann ein Schauder über den Rücken, als sie sich an die Geschichte von dem Gespensterschiff erinnerte. Beim kleinsten Geräusch schreckte sie zusammen und erwartete, den Kapitän an den Mastbaum genagelt zu finden.
»Hast du Angst?« Georg wandte sich um und musterte sie kritisch. »Soll ich dich lieber wieder in dein Bett bringen?«
»Sei still«, zischte Elise ihm zu. Niemals würde sie vor ihm zugeben, dass sie sich fürchtete. »Sonst finden sie uns noch.«
Georg zwinkerte ihr zu und schlich weiter. Von einem Schatten zum nächsten. Gewandt wie ein Straßenkater. Wieder einmal fragte sich Elise, was er als Kind wohl alles in Kairo erlebt hatte.
Da entdeckten sie das Mädchen mit den hellen Haaren im weißen Kleid, das ins Wasser starrte. Melodramatisch sah das aus, fand Elise.
»Halt!«, rief Georg in diesem Moment.
Elise stand wie erstarrt, beobachtete, wie Georg einen großen Satz nach vorn machte und im wirklich allerletzten Augenblick das Handgelenk des Mädchens erwischte. Er hing gebeugt über der Reling und es erschien Elise, als ob die Fremde ihn gleich mit in die Tiefe reißen würde.
»Hilf mir.«
Elise eilte nach vorn und versuchte, den freien Arm des Mädchens zu fassen, doch die wehrte sie ab.
»Lassen Sie mich!«, rief sie und schluchzte. »Lassen Sie mich, ich will nicht mehr leben.«
»So ein Quatsch«, ertönte eine tiefe Stimme hinter ihnen und ein kräftiger Arm griff über die zögerliche Elise hinweg und umfasste die Taille der Fremden. Der Matrose zog sie mit einem kräftigen Ruck wieder an Deck. »Ihr kommt jetzt alle mit.«
Oje, was würden ihre Eltern sagen, schoss es Elise durch den Kopf. Nicht nur dass sie ihre Kajüte verlassen hatte, sie war in ein Abenteuer geraten, das sie sich nicht hätte vorstellen können.
Die Fremde versuchte davonzulaufen und verhedderte sich in ihrem Kleid. Mit einem lauten Plumps fiel sie auf die Planken. Georg zeigte sich als Kavalier und half ihr auf.
»Danke«, hauchte sie. »Mein Name ist Margarete Seler. Danke für alles.«
»Gern geschehen.« So kannte Elise Georg gar nicht. So ritterlich und höflich. »Ich … ich heiße Georg … Georg Peters.«
»Mein Name ist Elise Hohermuth«, mischte sie sich ein. Sie wollte Georg nicht allein das Feld überlassen. Schließlich war Margarete die einzige junge Frau auf diesem Schiff. »Schön, Sie kennenzulernen.«
Margarete nickte ihr zu. Dann wandte sie sich ab und wollte in ihre Kajüte flüchten.
»Nicht so schnell, mein Fräulein.« Schwer legte sich die Hand des Matrosen auf Margaretes Schulter und verhinderte die Flucht. »Du kommst genauso mit zum Käpt’n wie deine Freunde hier.«
»Wie kommen Sie dazu, mich anzufassen und einfach zu duzen?«
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