Im Land der Kaffeeblüten (German Edition)
Glücklicherweise hatten ihre Eltern sich für Julia als Rufnahmen entschieden. Wer hieß schon Margarete?
»Aber das sind doch keine Gründe, Papa.« Julia spürte erneut einen Kloß im Hals. Ihr Vater war Tränen zugänglicher als ihre Mutter, doch sie wollte sich nicht auf diesem Weg durchsetzen. »Nur wegen einer verhauenen Klausur und einmal Abhauen.«
»Prinzessin. Deine Mutter und ich, wir haben uns viele Gedanken gemacht und die Entscheidung gemeinsam getroffen.« Das Lächeln ihres Vaters wirkte entschuldigend. »Später einmal wirst du verstehen, dass es richtig war.«
»Und wenn nicht?«, hätte Julia gern gefragt, aber sie wusste, dass sie verloren hatte. »Ist etwas mit der Firma?«, rutschte es ihr plötzlich heraus und sie musterte ihren Vater.
»Wie kommst du darauf?« Er schreckte zusammen und wirkte ertappt. »Was meinst du?«
»Die Wirtschaftskrise. Ich schaue Nachrichten, lese Zeitung«, antwortete Julia leichthin, obwohl sie spürte, wie ihr die Angst den Nacken hinaufkroch. Ihr Vater wurde immer unruhiger. Hatte der Schulwechsel noch andere Ursachen, als ihre Eltern bisher behauptet hatten?
3 Guatemala 2011
Isabell schaute zum hundertsten Mal auf die Uhr. Noch drei Stunden bis zu ihrem Abflug und von ihren Eltern war nichts zu sehen und zu hören. Sie ging durch die geräumige Altbauwohnung und strich versonnen über den alten Küchentisch, an dem sie so oft gemeinsam gesessen hatten. Das dunkle Mahagoniholz war glatt gerieben vom Alter und Gebrauch und gab der hellen Einbauküche etwas Persönlichkeit. Isabells Eltern hatten die Wohnung möbliert gemietet und nur den Tisch ausgewechselt, weil sich ihre Mutter bei einem Trödler spontan in dieses antike Ding verliebt hatte. Isabell durchquerte das Wohnzimmer und setzte sich einen Moment auf das ausladende Sofa. Das nachgedunkelte Beige der Polster versteckte sich hinter einer bunten gewebten Decke, angeblich eine Maya-Handarbeit, was Isabell bezweifelte. Vom Sofa aus hatte sie einen guten Blick auf den Maximón-Altar. Perla, ihre Haushälterin, hatte eine Tonstatue des Volksheiligen auf einem Tischchen neben dem Fernseher aufgebaut, bunte Kerzen und eine Vase danebengestellt und sich von Isabells Eltern nicht davon abhalten lassen, Maximón jeden Tag frische Blumen zu verehren. Immerhin hatte Perla auf die Zigaretten und den Rum verzichtet, die man sonst dem Heiligen gab.
»Bring mir Glück für Deutschland.« Isabell lächelte und stellte eine dicke blaue Kerze, die sie in derKommodenschublade entdeckt hatte, neben die weiße Orchidee, die monja blanca, Guatemalas Nationalblume. Blau für die Klarheit der Gedanken, wie Perla ihr erklärt hatte. Blau und Weiß – die Farben des Landes, das sie nun verlassen musste.
Isabell warf einen letzten Blick in ihr Zimmer. Es wirkte ganz unbewohnt. Ihre persönlichen Sachen befanden sich bereits auf dem Weg nach Deutschland und Perla hatte heute Mittag, bevor sie gegangen war, auch das Bettzeug verstaut. Isabell sah wieder auf ihre Armbanduhr und legte sich noch einmal auf das Bett, in dem sie die letzten vier Jahre geschlafen hatte. Nur die drei Poster an der Wand, die sie nicht mitnehmen wollte, erinnerten an diese Zeit. Kopfschüttelnd fragte sie sich, wie sie je auf die Idee gekommen war, ausgerechnet für Taylor Lautner zu schwärmen.
»Etwas Gutes hat so ein Neuanfang ja«, sagte sie laut zu sich selbst. »Keiner wird von meinem schlechten Geschmack wissen.«
Sie sprang auf und stellte sich ans Fenster, um auf die breite Straße hinunterzusehen. Sie würde ihr Viertel vermissen. Die schönen Kolonialhäuser, die Hotels, die gemütlichen Cafés und selbst die Touristen, die staunend mit Reiseführern in den Händen durch die Gassen irrten. Von ihrem Fenster aus konnte sie den Torre del Reformador sehen, der wie eine Miniaturausgabe des Eiffelturms die Avenida 7 überragte. Isabell hatte es geahnt. Nach dem Anruf heute Morgen, dass die Ausgrabungen erfolgreich gewesen waren, hatte sie befürchtet, dass ihre Eltern alles andere darüber vergessen würden. Gefürchtet oder gehofft, da war sie sich nicht sicher. Schließlich legte sie keinen großen Wert darauf, in Deutschland zu leben.
Aber sie hatte sich bereits im Vorfeld einen Notfallplanüberlegt und Gustavo, Perlas Mann, gebeten, sie abzuholen, falls alle Stricke reißen würden. Perla und Gustavo waren immer eine große Hilfe für sie gewesen, weil ihre Eltern beruflich oft unterwegs waren. In dem Moment, als sie Gustavos Nummer
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