Im Land der Kaffeeblüten (German Edition)
Die Neue, die allein während der Pause auf dem Pausenhof herumstand und von einigen beäugt wurde. Isabell hatte überlegt, sich irgendwo dazuzustellen, aber irgendwie machten die Grüppchen den Eindruck, dass sie exklusiv waren und nicht besonders scharf darauf, jemand Neuen aufzunehmen. Mal sehen, wie lange es dauern würde, bis sie eine Clique fand. Der Einzige, der auf sie zugekommen war, schien der übliche Schulmacho zu sein, der sein Glück bei jedem Mädchen versuchte. Isabell hatte dankend abgelehnt und war freiwillig zurück in die Cafeteria gegangen, obwohl ausnahmsweise die Sonne schien.
»Das ist Isabell. Sie ist aus Guatemala.« Die Lehrerin hatte gelächelt.
»Die sieht ja gar nicht aus wie’n Indio«, hatte jemand laut geflüstert. Der Großteil des Kurses hatte gekichert und Isabell hatte höflich mitgelacht.
»Ich hoffe, ihr zeigt euch von eurer gastfreundlichenSeite. Isabell kann uns bestimmt viel über das Leben in Südamerika erzählen.«
»Mittelamerika«, hatte Isabell korrigiert, ohne groß zu überlegen. Sie hatte bisher die Erfahrung gemacht, dass kaum jemand wusste, wo Guatemala lag. Am eisigen Schweigen, das ihren Worten folgte, erkannte sie, dass die Lehrerin über die Korrektur nicht gerade erfreut war.
»Entschuldigung. Das … das passiert ganz automatisch.« Doch das half jetzt auch nichts mehr.
»Dort neben Julia ist noch Platz«, sagte die Lehrerin kühl und deutete auf ein Mädchen, das locker bei Germany’s Next Topmodel hätte mitmachen können. Groß, sportlich, mittellanges blondes Haar, Strähnchen, wie sie nur ein teurer Friseur hinbekam. Auffallende Fingernägel mit nachtblauem Nagellack lackiert.
Isabell machte sich mit gesenktem Kopf auf den Weg. Schüler sind wie Jaguare. Wenn du ihnen nicht in die Augen schaust und sie reizt, bleiben sie friedlich, sagte sie sich.
»Oh, Miss Mittelamerika«, zischte es hinter ihr. So gehässig und unfreundlich, dass Isabell sich trotz besseren Wissens umdrehte. Sie musterte ihre Angreiferin aus dem Augenwinkel. Ein hageres Mädchen, in Schwarz gekleidet, mit schlecht gefärbten, aschgrauen Haaren. Die freute sich bestimmt, dass jetzt jemand Neues ans Ende der Nahrungskette geriet. Kurz überlegte sie, ob es sich lohnte, gleich am ersten Tag einen Streit anzufangen, dann entschied sie sich dagegen. Nur nicht auffallen.
»Isabell, wo bleibst du«, rief Lina, die ihrer Enkelin verboten hatte, sie weiterhin Omaha zu nennen. »Omaha ist was für Kinder. Nenn mich Lina, dann kommen wir gut miteinander aus.«
Auch sonst hatte Lina wenig mit den Großmüttern gemeinsam, die Isabell aus Guatemala kannte. Lina trug Jeans und selbst gestrickte, übergroße Pullover, färbte ihre Haare mit Henna zu einem leuchtenden Orange und war ständig unterwegs. Tierschutzverein, Malgruppe, Chor, Stadtteilfest – alle Termine hatte sie in einen großem Kalender eingetragen, der am Kühlschrank hing, und Isabell aufgefordert, ihre dazuzuschreiben. Als ob Isabell Verabredungen oder Ähnliches hätte.
»Seid ihr jungen Leute nicht alle per Facebook oder studiVZ, oder wie sich das nennt, miteinander vernetzt?« Lina hatte Isabell zweifelnd angesehen, als diese ratlos vor dem Kalender stand.
»Isabell! Essen!«, erklang es wieder von unten. Dieses Mal ließ der Ton in Linas Stimme erkennen, dass sie nicht noch einmal rufen würde.
Isabell hievte sich aus dem Sitzsack und ging hinunter in die Küche. Lina wohnte in einem Altbremer Haus in Peterswerder, einem Viertel, in dem es viele schmale Häuser mit Hochparterre gab. Am besten gefiel Isabell, dass die Gärten nach hinten hinausgingen und sich berührten, sodass man den Eindruck von viel Grün bekam. Ein Grün, das sie an Guatemala erinnerte. Ebenso wie die Orchidee, die sie Lina mitgebracht hatte und die ihr der Zoll beinahe weggenommen hätte.
»Was gibt es denn Gutes? Soll ich den Tisch decken?«, fragte sie. Ein dunkler Holztisch mit Kratzspuren an den Beinen stand mitten im Raum und wurde von vier bunt zusammengewürfelten Stühlen eingerahmt. Nur der taubenblaue Geschirrschrank war von Krallen verschont geblieben. »Wie hältst du die Katzen eigentlich von dem Schrank ab?«
»Mit drohenden Blicken. Und ja, deck den Tisch, bitte. Es gibt Pizza. Ich hatte keine Zeit, um was Richtiges zu kochen«, antwortete Lina knapp und öffnete den Backofen. Ein Edelstahlmonstrum, das seltsam modern in der gemütlichen Küche wirkte.
Isabell suchte nach Geschirr und fand sogar Servietten, die dem Essen
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