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Im Land der letzten Dinge (German Edition)

Im Land der letzten Dinge (German Edition)

Titel: Im Land der letzten Dinge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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ich nicht irre, ist er auch genauso tot wie Ihrer. Sehen Sie mich vielleicht heulen und mir die Haare raufen? Solchen Dingen müssen wir alle ins Auge blicken. Ich verabscheute mich selbst für diese Plattitüden, für meine schroffe Art, mit ihr umzuspringen, aber ich konnte keinen klaren Gedanken fassen bei ihrem hysterischen und zusammenhanglosen Geschwafel von Mr. Reilly und ihren Kindern und der Hochzeitsreise, die sie vor siebenunddreißig Jahren unternommen hätten. Sie sind mir doch schnuppe, sagte sie schließlich zu mir. Eine kaltherzige Hexe wie Sie hat gar keinen Ehemann verdient, und Ihr tolles Woburn House können Sie sich an den Hut stecken. Wenn der gute Doktor Sie so reden hören könnte, würde er sich im Grabe umdrehen. So was in der Richtung, auch wenn ich mich nicht mehr genau an ihre Worte erinnern kann. Dann stand Mrs. Reilly auf und zog eingeschnappt und entrüstet ab. Kaum war sie draußen, legte ich meinen Kopf auf den Schreibtisch, schloss die Augen und überlegte, ob ich nicht zu erschöpft sei, an diesem Tag noch mehr Leute zu empfangen. Das letzte Gespräch war eine Katastrophe gewesen, und dass ich meine Gefühle mit mir hatte durchgehen lassen, war meine eigene Schuld. Da gab es nichts zu beschönigen, keine Rechtfertigung dafür, dass ich meinen Ärger an einer armen Frau abreagiert hatte, die offensichtlich halb von Sinnen war vor Kummer. Ich muss dann eingenickt sein, für fünf Minuten vielleicht, oder auch nur für wenige Sekunden – ich bin mir nicht sicher. Ich weiß nur, dass zwischen diesem Augenblick und dem nächsten, von da an, wo ich die Augen schloss, bis dahin, wo ich sie wieder aufschlug, unendlich lange Zeit zu liegen schien. Ich blickte auf, und da war Sam, er saß mir gegenüber auf dem Stuhl zum nächsten Vorstellungsgespräch. Zuerst glaubte ich noch zu schlafen. Ein Traumgespinst, sagte ich zu mir. Er kommt aus einem dieser Träume, in denen du dir einbildest aufzuwachen, wobei das Aufwachen aber mit zum Traum gehört. Dann sagte ich mir: Sam – und begriff plötzlich, dass es niemand anders sein konnte. Es war Sam, war aber auch nicht Sam. Es war Sam in einem anderen Körper, mit ergrauendem Haar und blauen Flecken im Gesicht, mit schwarzen, zerschundenen Fingern und zerfetzten Kleidern. Er saß da mit totem, vollkommen abwesendem Blick – willenlos in sich selbst versunken, wie mir schien, ganz und gar verloren. Das alles drang wirbelnd und flackernd auf mich ein. Es war Sam, doch er erkannte mich nicht, er wusste nicht, wer ich war. Ich fühlte mein Herz klopfen, und einen Augenblick lang glaubte ich ohnmächtig zu werden. Dann begannen ganz langsam zwei Tränen über Sams Wangen zu laufen. Er biss sich in die Unterlippe, unkontrolliert zuckte sein Kinn. Auf einmal fing sein ganzer Körper zu beben an, Luft zischte aus seinem Mund, und das Schluchzen, das er niederzukämpfen suchte, rang sich zitternd frei. Er wandte sein Gesicht von mir ab, noch immer bemüht, sich zu beherrschen, aber die Krämpfe durchzuckten weiter seinen Körper, und das atemlose Rasseln aus seinen zusammengepressten Lippen hörte nicht mehr auf. Ich erhob mich von meinem Stuhl, taumelte um den Schreibtisch herum und schlang die Arme um ihn. Kaum berührte ich ihn, hörte ich zerknülltes Zeitungspapier in seinem Mantel rascheln. Und da begann ich zu weinen und konnte nicht mehr aufhören. Ich klammerte mich so fest an ihn, wie ich konnte, vergrub mein Gesicht im Stoff seines Mantels und wusste mich einfach nicht mehr zu fassen.

Das war vor über einem Jahr. Es dauerte Wochen, bis Sam sich so weit erholt hatte, dass er von dem, was ihm zugestoßen war, sprechen konnte, aber auch dann noch waren seine Erzählungen vage, voller Widersprüche und Lücken. Als ob alles ineinanderliefe, sagte er, es machte ihm Mühe, die Umrisse der Ereignisse zu unterscheiden, er konnte die einzelnen Tage nicht auseinanderhalten. Er erinnerte sich, auf mich gewartet, bis sechs oder sieben am nächsten Morgen in dem Zimmer gesessen und sich endlich auf den Weg gemacht zu haben, um mich zu suchen. Erst nach Mitternacht kam er zurück, und da war die Bibliothek bereits ein Flammenmeer. Er stand in der von dem Brand angelockten Menschenmenge und sah, als das Dach schließlich einstürzte, unser Buch zusammen mit allen anderen in dem Gebäude in Rauch aufgehen. Er sagte, er habe das leibhaftig vor sich sehen können, habe ganz genau gewusst, in welchem Augenblick die Flammen in unser Zimmer eingedrungen seien

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