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Im Land der letzten Dinge (German Edition)

Im Land der letzten Dinge (German Edition)

Titel: Im Land der letzten Dinge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Angriffe auf die Festung meiner Schwermut.
    Die Wohnung bestand aus drei schäbigen Räumen, die alle mit den Früchten jahrelangen Sammelns vollgestopft waren – Geschirr, Kleider, Koffer, Decken, Teppiche, Nippes jeglicher Art. Wenn er nach Hause kam, verfügte Boris sich als erstes in sein Schlafzimmer und zog sich um, hängte seinen Anzug sorgfältig in den Wandschrank und schlüpfte in eine alte Hose, Pantoffeln und seinen Bademantel. Letzterer war ein ziemlich phantastisches Souvenir aus vergangenen Zeiten – ein knöchellanges, inzwischen völlig zerfetztes Gebilde aus rotem Samt, Kragen und Manschetten aus Hermelin, die Ärmel von Motten zerfressen und am ganzen Rücken durchgescheuert –, doch Boris trug es mit seiner üblichen Grandezza. Nachdem er sich die schütteren Haarsträhnen angeklatscht und Kölnisch Wasser in den Nacken geschüttet hatte, kam er in das enge, staubige Wohnzimmer stolziert und bereitete den Tee.
    Die meiste Zeit ergötzte er mich mit Geschichten aus seinem Leben, aber manchmal sahen wir uns auch verschiedene Dinge in dem Zimmer an und sprachen darüber – die Schachteln mit Kuriositäten, die bizarren kleinen Kostbarkeiten, den Kehricht Tausender Ankauf-Verkauf-Expeditionen. Besonders stolz war Boris auf seine Hutsammlung, die er in einer riesigen Holztruhe beim Fenster aufbewahrte. Ich weiß nicht, wie viele er darin hatte, aber es dürften zwei bis drei Dutzend gewesen sein, vielleicht auch mehr. Manchmal suchte er zwei davon heraus, die wir dann zum Tee trugen. Dieses Spiel belustigte ihn sehr, und ich muss zugeben, dass es mir selbst Spaß machte, obwohl ich arg in Bedrängnis geriete, wenn ich erklären sollte, warum. Er hatte Cowboyhüte und Melonen, Fese und Tropenhelme, Doktorhüte und Barette – jede denkbare Art von Kopfbedeckung. Wenn ich Boris fragte, warum er sie sammelte, gab er mir jedes Mal eine andere Antwort. Einmal sagte er, seine Religion erfordere das Tragen von Hüten. Ein andermal erklärte er, jeder seiner Hüte habe einem Verwandten gehört, und er trage sie, um mit den Seelen seiner toten Vorfahren zu verkehren. Indem er einen Hut aufsetze, eigne er sich die geistigen Eigenschaften seines früheren Besitzers an, sagte er. Und wirklich hatte er jedem seiner Hüte einen Namen gegeben, aber ich fasste diese Namen eher als Projektionen seiner privaten Gefühle den Hüten gegenüber auf denn als Symbole für Menschen, die wirklich gelebt hatten. Der Fes zum Beispiel hieß Onkel Abduhl. Die Melone Sir Charles. Der Doktorhut Professor Solomon. Als ich das Thema dann wieder einmal aufbrachte, erklärte Boris jedoch, er trage Hüte so gern, weil sie verhinderten, dass seine Gedanken ihm aus dem Kopf flögen. Wenn wir beide sie beim Teetrinken aufhätten, müssten unsere Gespräche schlechthin klüger und anregender sein. «Le chapeau influence le cerveau» , sagte er, ins Französische verfallend. «Si l’on protège la tête, la pensée n’est past bête.»
    Ein einziges Mal nur schien Boris aus seiner Deckung herauszukommen, und zwar bei dem Gespräch, das ich am besten behalten habe, das mir am lebhaftesten im Gedächtnis geblieben ist. An jenem Nachmittag regnete es – trostlos und unaufhörlich –, und ich trödelte länger als gewöhnlich herum, unwillig, die warme Wohnung zu verlassen und nach Woburn House zurückzukehren. Boris war in seltsam nachdenklicher Stimmung, und ich hatte die Unterhaltung bis dahin fast ganz allein bestritten. Gerade als ich mich endlich aufraffte, meinen Mantel anzuziehen und mich zu verabschieden (ich erinnere mich noch an den Geruch feuchter Wolle, die Spiegelung der Kerzen im Fenster, die höhlenhafte Geborgenheit des Augenblicks), griff Boris nach meiner Hand, nahm sie fest in die seine und sah mit grimmigem, rätselhaftem Lächeln zu mir auf.
    «Sie müssen begreifen, dass dies alles nur eine Illusion ist, meine Liebe», sagte er.
    «Ich bin nicht sicher, ob ich Sie verstehe, Boris.»
    «Woburn House. Es ist auf Wolken gebaut.»
    «Mir kommt es sehr solide vor. Ich bin dort täglich, wie Sie wissen, und das Haus hat noch keinmal geschwankt. Nicht einmal gewackelt.»
    «Ja, bis jetzt. Aber warten Sie noch ein Weilchen, dann werden Sie sehen, wovon ich spreche.»
    «Wie lange ist ‹ein Weilchen›?»
    «So lange, wie es braucht. Die Zimmer im vierten Stock können nur eine begrenzte Menge enthalten, nicht wahr, und früher oder später wird nichts mehr zum Verkaufen übrig sein. Schon wird der Vorrat knapp – und ist

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