Im Land der Regenbogenschlange
von zwei Hunden gejagt wurde. Welch Glück, denn die Jagd und die Flucht weckten wieder auf, endlich erfuhr man etwas, worauf man nicht gefasst war. Ich finde, Leser und Reisende haben ein Recht auf Ãberraschungen.
AuÃer zwei talentlosen Bettlern und einem begabten Stepper, vor dem keiner zum Bewundern stehen bleibt, habe ich kein streetlife entdeckt. Kein Marabu wandert die Bürgersteige entlang und verspricht, die Zukunft zu kennen, keiner verteilt die Visitenkarte eines SM -Clubs, kein Wunderheiler, der das Wunder Glück in Aussicht stellt, kein Scharlatan, der behauptet, mit bloÃen Fingern zu operieren, kein Feuerschlucker, kein Clown, nur blasse, wohl vom Hungerlohn ausgemergelte Männchen, die Waschzettel verteilen, auf denen gewaltige Steaks abgebildet sind, die man ein Eck weiter aufessen kann. »Eat as much as you can.« Nun, man wird bald gewahr, dass die australischen Männer, Frauen und Kinder sich mehr Steaks einverleiben, als ihren Körpern guttut. Ganz dem Vorbild Amerika verpflichtet, wird XXX -Superlarge zur Norm. »Fat is beautiful«, steht auf einer Abortwand. Der Satz ist gewöhnungsbedürftig.
Am dritten Abend läuft mir in der Pitt Street ein StraÃenprediger über den Weg. Immerhin. Auf seiner Brust hängt ein Schild, das uns allen heimleuchten soll: »You are a sinner and you have god's word on it.« Auch das ein alter Hut. Der liebe Gott ist der liebe Gott und wir sind die Sünder. Nachrichten, die offensichtlich niemand mehr redigiert. Bis zum Jüngsten Tag nicht.
Ich wandere zum Kings Cross, jenem Viertel, das während des Vietnamkriegs (an dem australische Soldaten teilnahmen) zum vice center , zum Sündenpfuhl des Landes avancierte. An den Häuserwänden lungern noch immer die zum Frevel bereiten Damen. Noch betagter als bei meinem letzten Besuch, noch verbogener die Beine vom vielen Stehen am selben Ort. Und noch immer kein barmherziges Stadtoberhaupt in Sicht, das die Dienstältesten diskret ins Seniorenheim abschiebt.
Ich bin gekommen, weil heute ein Artikel über einen injecting room in der Zeitung stand, ein witziger Artikel. Denn in diesen Räumen dürfen sich Junkies offiziell Heroin spritzen, dürfen sich die (saubere) Nadel überall reindrücken, nur nicht in den Nacken. Und jetzt der kleine Wahn, so steht er auf einem Schild: »Rauchen strikt verboten«, noch lustiger, »aus gesundheitlichen Gründen«. Ich trete ein, will zuschauen. Ja, das geht, aber erst morgen Abend. Ich melde mich an.
Sydney holt auf, die Sonne scheint und ich setze mich direkt vor sie. Und der Kaffee kommt. Und jetzt in den Himmel blinzeln, einen Zigarillo anzünden, lesen und mich mittendrin an den Satz aus dem Film Bonnie & Clyde erinnern, in dem Faye, die Gangsterbraut, zu Warren, dem Gangster, sagt: »Ain't life great?« Aber ja doch.
Selbst dann noch, als ich Babs kennenlerne, nicht näher, aber nah genug, um zu wünschen, ihr nie begegnet zu sein. Denn die Bedienung straft jeden Kunden, der zahlt, mit dem Satz: »It's
a fabulous day, isn't it?«, nicht genug, sie schleudert dem Armen noch ein »have a gorgeous afternoon« hinterher. Dass sie die beiden Sätze vor jedem wiederholt, ist nicht die Strafe, natürlich nicht. Was alle Anwesenden zusammenzucken lässt, ist die quietschende Tonlage, mit der die Wörter durch den Raum fahren. Wie Reifen bei einer Vollbremsung, wie Hamster unter Folter. Die Amerikaner sollten die Unerbittliche für Guantánamo rekrutieren. Nach einer halben Stunde mit Babs im selben Zimmer ist man zu jedem Geständnis bereit.
Ich bin inzwischen ein gewiefter Reisender geworden. Aus Europa habe ich spezielle Lärmschützer mitgebracht. Kein popeliges Ohropax, sondern Silikon, das vom Optiker in die Ohrmuschel gespritzt wird, um eine Art Verschluss herzustellen, der sich genau der individuellen Form anpasst. Die zwei federleichten Plastikteile sitzen wie Korken. Der Preis: neunzig Euro, der Wert: pyramidal. Tonnen von Blabla kommen nicht mehr an, selbst Babs' Peitschenhiebe schrumpfen zu einem fernen Rauschen.
Die Freude nimmt noch zu, als ich im Sydney Morning Herald lese, dass vorletzte Nacht Feuer in einem hiesigen Bordell ausbrach und über 100 (hundert!) Kunden von der Feuerwehr evakuiert werden mussten. Eine solche Meldung ehrt die Stadt. Viel mehr als, sagen wir, die Nachricht von hundert Shoppern, die mitten beim Einpacken von
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