Im Land der weissen Rose
haben!«
Dabei funkelte er Ruben boshaft an. Der Junge wusste genau, wie es um
die wirtschaftliche Lage in den Canterbury Plains stand. Howard
O’Keefe verdiente zwar erheblich besser, seit Greenwood
Enterprises ihn protegierte, doch von Geralds Ehrentitel Schaf-Baron
war er weit entfernt. Die Herden und der Wohlstand auf Kiward Station
waren auch in den letzten zehn Jahren stetig gewachsen, und für
Paul Warden gab es tatsächlich fast keinen Wunsch, der unerfüllt
blieb. Dabei stand ihm der Sinn weniger nach Büchern. Paul
wollte lieber das schnellste Pony, freute sich an Spielzeuggewehren
und Pistolen – und hätte wohl auch schon ein eigenes
Luftgewehr besessen, hätte George Greenwood es bei seinen
Bestellungen in England nicht immer wieder »vergessen«.
Helen betrachtete Pauls Entwicklung mit Sorge. IhrerAnsicht nach
wurden dem Jungen zu wenig Grenzen gesetzt. Sowohl Gwyneira als auch
Gerald machten ihm zwar teure Geschenke, kümmerten sich sonst
aber kaum um ihn.Auch dem Einfluss seiner Pflegemutter Kiri war Paul
bereits weitgehend entwachsen. Er hatte sich längst die Ansicht
seines vergötterten Großvaters zu Eigen gemacht, die weiße
Rasse sei den Maoris überlegen. Das war letztlich auch immer
wieder Anlass für die endlosen Streitereien mit Tonga. Der
Häuptlingssohn war genauso selbstsicher wie der Erbe des
Schaf-Barons, und die Jungen stritten erbittert darum, wem das Land
gehörte, auf dem sowohl Tongas Leute als auch die Wardens
lebten. Helen beunruhigte auch das. Tonga würde
höchstwahrscheinlich einmal die Nachfolge seines Vaters
antreten, so wie Paul Gerald beerbte. Wenn dann immer noch
Feindschaft zwischen den Männern bestand, konnte es schwierig
werden. Und jede blutige Nase, mit der einer der Jungen nach Hause
kam, vertiefte die Kluft zwischen ihnen.
Wenigstens gab es Marama. Das beruhigte Helen ein wenig, denn
Kiris Tochter, Pauls »Ziehschwester«, hatte eine Art
sechsten Sinn für die Zusammenstöße der Jungs und
pflegte auf jedem Kampfplatz aufzutauchen, um zu schlichten. Wenn sie
hier gerade harmlos Hüpfspiele mit ein paar Freundinnen machte,
hatten Paul und Tonga sich zurzeit wohl nichtin der Wolle. Marama
lächelte Helen denn auch verschwörerisch zu. Sie war ein
entzückendes Kind, zumindest nach Helens Maßstäben.
Ihr Gesicht war schmaler als das der meisten Maori-Mädchen, und
ihr samtiger Teint war schokoladenfarben. Tätowierungen trug sie
noch nicht, sie würde wahrscheinlich auch nie nach
traditioneller Sitte geschmückt werden. Die Maoris gingen immer
mehr von diesem Brauch ab und trugen auch kaum noch traditionelle
Kleidung. Sie waren sichtlich bemüht, sich den pakeha anzupassen
– was Helen einerseits erfreulich fand, was sie manchmal aber
auch mit einem unbestimmten Bedauern erfüllte.
»Wo ist Paul, Marama?«, wandte Helen sich nun direkt
an das Mädchen. Paul und Marama kamen gewöhnlich zusammen
zum Unterricht aus Kiward Station. Wenn Paul sich über
irgendetwas geärgert hätte und vorzeitig heimgeritten wäre,
wüsste sie das.
»Weggeritten, Miss Helen. Er ist einem Geheimnis auf der
Spur«, verriet Marama mit heller Stimme. Die Kleine war eine
gute Sängerin, ein Talent, das bei ihrem Volk geschätzt
war.
Helen seufzte. Sie hatten gerade ein paar Bücher gelesen, in
denen sich es um Piraten und Schatzsuche, geheimnisvolle Länder
und Gärten drehte, und nun suchten alle Mädchen nach
verzauberten Rosengärten, während die Jungen begeistert
Schatzkarten zeichneten. Ruben und Fleur hatten das in diesem Alter
auch getan,doch bei Paul musste man immer die Befürchtung hegen,
dass seine Geheimnisse nicht gar so harmlos waren. Vor kurzem zum
Beispiel hatte er Fleurette in helle Aufregung versetzt, indem er ihr
geliebtes Pferd Minette, eine Tochter der Ponystute Minty mit dem
Zuchthengst Madoc, entführt und im Rosengarten von Kiward
Station versteckt hatte. Seit Lucas’ Tod wurde die Anlage kaum
noch gepflegt, und natürlich kam niemand darauf, das Pferd dort
zu suchen – zumal Minette auch vom Hof der O’Keefes und
nicht aus ihrem eigenen Stall entführt worden war. Helen starb
bereits tausend Tode bei dem Gedanken, dass Gerald sicherihren Mann
für den Verlust des wertvollen Tieres verantwortlich machen
würde. Schließlich hatte Minette selbst auf sich
aufmerksam gemacht, indem sie wieherte und im
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