Im Land der weissen Rose
seltsam
wie die der Tochter, aber Fleur schien zu verstehen.
»Er meint, Ruben müsste das alles gern tun, weil er ein
Junge ist«, bemerkte Fleurette.
Gwyn seufzte nochmals und verhielt ihr Pferd vor dem nächsten
Scherschuppen, der dem anderen aufs Haar glich. »Da ist er
nicht der Einzige. Hier ... kommen Sie, Mr. Sigleifson,hier arbeitet
mein Schwiegervater. Oder warten Sie lieber hier, ich hole ihn raus.
Da drin herrscht genauso ein Krach wie in meinem ...«
Doch Steinbjörn war schon abgestiegen und folgte ihr in den
Schuppen. Es wäre nicht höflich gewesen, den alten Mann
gleich vom Sattel aus zu begrüßen.Außerdem hasste er
es, wenn die Menschen aufgrund seines Hinkens Rücksicht auf ihn
nahmen.
In Schuppen eins herrschte ein genauso reges, lärmendes
Treiben wie in Gwyneiras Abteilung, doch die Atmosphäre schien
hier anders – deutlich gespannter, nicht so freundlich. Die
Männer schienen auch weniger motiviert, eher getrieben und
gehetzt. Und der kräftige ältere Mann, der sich zwischen
den Scherern bewegte, tadelte auch eher, statt zu scherzen. Dazu
standen eine halb volle Flasche Whiskey und ein Glas neben der Tafel,
auf der er die Ergebnisse notierte. Er nahm eben einen weiteren
Schluck, als Gwyneira eintrat und ihn ansprach.
Steinbjörn sah in ein aufgedunsenes,vom Whiskey gezeichnetes
Gesicht und blutunterlaufene Augen.
»Was machst du denn hier?«, blaffte er Gwyneira an.
»Schon fertig mit den fünftausend Schafen in Schuppen
zwei?«
Gwyneira schüttelte den Kopf. Steinbjörn bemerkte ihren
zugleich besorgten und vorwurfsvollen Blick auf die Flasche.
»Nein, Gerald,Andy macht die Aufsicht. Ich wurde abberufen.
Und ich denke, du solltest auch kommen. – Gerald, dies ist Mr.
Sigleifson. Er ist gekommen, um uns von Lucas’ Tod zu
berichten.« Sie stellte Steinbjörn vor, doch das Gesicht
des alten Mannes spiegelte nur Verachtung.
»Und deshalb lässt du den Schuppen im Stich? Um zu
hören, was der Lustknabe deines schwanz lutschenden Gatten zu
sagen hat?«
Gwyneira wirkte erschrocken, doch zu ihrer Erleichterung schaute
ihr junger Besucher verständnislos. Ihr war vorhin schon sein
nordischer Akzent aufgefallen – wahrscheinlich hatte er die
Worte überhört oder gar nicht verstanden.
»Gerald, der junge Mann hat Lucas als Letzter lebend gesehen
...« Sie versuchte es noch einmal mit Ruhe, doch der Alte
funkelte sie an.
»Und hat ihn wohl zum Abschied noch geküsst, was?
Verschone mich mit diesen Geschichten, Gwyn. Lucas ist tot. Er soll
in Frieden ruhen, aber lass mir bitte auch meine Ruhe! Und den Kerl
da will ich nicht mehr in meinem Haus sehen, wenn ich hier fertig
bin!«
Warden wandte sich ab.
Gwyneiraführte Steinbjörn mit entschuldigendem Ausdruck
hinaus. »Verzeihen Sie, aus meinem Schwiegervater spricht der
Whiskey. Er hat es niemals verwunden, dass Lucas... nun, dass er war,
wie er war, und dass er letztlich die Farm verlassen hat...
desertiert ist, wie Gerald es ausdrückt. Dabei hatte er selbst
weiß Gott seinen Anteil daran.Aber das sind alte Geschichten,
Mr. Sigleifson. Ich danke Ihnen jedenfalls, dass Sie da sind. Gehen
wir ins Haus, Sie können sicher eine Erfrischung vertragen ...«
Steinbjörn wagte das Herrenhaus kaum zu betreten. Er war
sicher, dort einen Fehler nach dem anderen zu machen. Luke hatte ihn
mitunter auf korrekte Tischsitten und Regeln der Höflichkeit
aufmerksam gemacht, und auch Daphne schien sich in der Hinsicht
auszukennen. Aber er selbst hatte keine Ahnung und fürchtete,
sich schrecklich vor Gwyneira zu blamieren. Die jedoch führte
ihn ganz selbstverständlich durch eine Seitentür hinein,
nahm ihm die Jacke ab und klingelte dann auch nicht nach dem Mädchen,
sondern traf gleich im Salon auf die Kinderfrau Kiri. Neuerdings
sperrte Gerald sich nicht mehr dagegen, dass die junge Frau die
Kinder beim Putzen und sonstigen Hausarbeiten mit sich
herumschleppte. Wenn er Kiri in die Küche verbannte, so war ihm
schließlich klar geworden, würde auch Paul dort
aufwachsen.
Gwyneira begrüßte Kiri freundlich und nahm eins der
Babys aus dem Tragekorb.
»Mr. Sigleifson, mein Sohn Paul«, stellte sie vor,
doch die letzten Worte gingen im ohrenbetäubenden Geschrei des
Babys unter.Paul schätzte es gar nicht, von der Seite seiner
Ziehschwester Marama gerissen zu werden.
Steinbjörn stellte inzwischen
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