Im Land der weissen Rose
Garten
herumgaloppierte. Das geschah aber erst, nachdem sie sich in dem von
Gras überwucherten Geviert gründlich satt gefressen hatte –
Stunden, in denen die verzweifelte Fleurette ihr Pferd im Hochland
herumirren oder gar von Viehdieben entführt wähnte.
Ãœberhaupt Viehdiebe ... das war auch so ein Thema, das die
Farmer in den Canterbury Plains seit einigen Jahren beunruhigte.
Während die Neuseeländer sich noch vor einer Dekade damit
gerühmt hatten, nicht wie die Australier von Sträflingen
abzustammen, sondern eine Gesellschaft rechtschaffener Siedler zu
bilden, zeigten sich jetzt auch hier kriminelle Elemente. Im Grunde
kein Wunder – der reiche Viehbestand von Farmen wie Kiward
Station und das stetig wachsende Vermögen ihrer Besitzer weckten
Begehrlichkeiten. Zumal der Aufstieg für neue Einwanderer heute
nicht mehr so einfach war. Die ersten Familien waren etabliert, das
Land nicht mehr umsonst oder fast umsonst zu haben, der Walfang und
die Seehundbänke weitgehend ausgeschöpft. Allerdings kam es
immer noch zu spektakulären Goldfunden. Nach wie vor war es also
möglich, auch aus dem Nichts heraus sein Glück zu machen –
nur nicht unbedingt in den Canterbury Plains.Aber gerade das
Alpenvorland und die Herden der großen Vieh-Barone wurden in
der letzten Zeit zum Operationsgebiet und zum Opfer brutaler
Viehdiebe. Und das alles hatte mit einem Mann angefangen, der für
Helen und die Wardens ein alter Bekannter war: James McKenzie.
Helen hatte es zunächst gar nicht glauben wollen, als Howard
fluchend aus dem Pub nach Hause kam und den Namens von Geralds
einstigem Vormann nannte.
»Weiß der Geier, weshalb Warden den Kerl an die Luft
gesetzt hat, aber jetzt kriegen wir alle die Quittung. Die Arbeiter
reden von ihm, als wäre er ein Held. Klaut nur die besten Tiere,
sagen sie, die von den reichen Säcken. Die Viecher der kleinen
Farmer lässt er laufen. Was für ein Blödsinn! Wie will
er dasdenn unterscheiden? Aber sie haben eine diebische Freude daran.
Würde mich nicht wundern, wenn sich um den Kerl demnächst
’ne Bande bildet.«
»Wie Robin Hood«, war Helens erster Gedanke gewesen;
dann aber hatte sie sich für ihre romantischen Anfälle
gerügt.Auch die Verklärung des Viehdiebes durch die
einfachen Leute gehörte für sie ins Reich der Fantasie.
»Wie soll ein Mann das allein geregelt bekommen«,
bemerkte sie Gwyn gegenüber. »Die Schafe zusammentreiben,
aussondern, scheren, über die Berge bringen ... Dafür
braucht man doch einen ganzen Trupp.«
»Oder einen Hund wie Cleo ...«, erklärte Gwyneira
unbehaglich und dachte an den Welpen, den sie James zum Abschied
geschenkt hatte. McKenzie war ein begnadeter Hundeführer. Sicher
stand Friday ihrer Mutter inzwischen kaum nach – mehr noch, sie
hatte sie längst überrundet. Cleo war mittlerweile uralt
und fast taub. Sie klebte zwar immer noch an Gwyn wie ihr Schatten,
doch als Arbeitshund konnte man sie nicht mehr einsetzen.
Es dauerte dann auch nicht mehr lange, bis die Lobeshymnen auf
James McKenzie seinen genialen Sheepdog mit einbezogen. Für Gwyn
gab es keinen Zweifel mehr, als erstmals Fridays Name fiel.
Gerald machte zum Glück keine Bemerkung über James’
Fähigkeiten als Schäfer und das Fehlen des Welpen, das er
damals eigentlich bemerkt haben musste.Andererseits waren Gerald und
Gwyneira in jenem unglückseligen Jahr andere Dinge im Kopf
herumgegangen. Wahrscheinlich hatte der Schaf-Baron den kleinen Hund
einfach vergessen. Jedenfalls verlor er jetzt Jahr für Jahr
etliche Stück Vieh durch McKenzies Treiben – ebenso wie
Howard, die Beasleys und alle anderen größeren
Schafzüchter. Helen hätte gern gewusst, wie Gwyneira
darüber dachte, aber die Freundin erwähnte McKenzie mit
keinem Wort, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ.
Helen hatte nun genug von ihrer sinnlosen Suche nach Paul. Sie
würde mit dem Unterricht beginnen, egal ob er dabei war oder
nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass er noch irgendwann erschien, war
ohnehin ziemlich groß. Paul respektierte Helen; vielleicht war
sie der einzige Mensch, dem er überhaupt gehorchte, und manchmal
glaubte sie, dass seinen ständigen Attacken gegen Ruben,
Fleurette und Tonga auch Eifersucht zugrunde lag. Der aufgeweckte
Häuptlingssohn gehörte zu ihren Lieblingsschülern, und
Ruben und
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