Im Land der weissen Rose
unterstützte sie zudem
das Jura- und Medizinstudium ihrer zwei Brüder. Das Erbe ihres
Vaters reichte nicht aus, den Jungen eine angemessene Ausbildung zu
finanzieren, zumal beide sich keine allzu große Mühe
gaben, das Studium zu einem raschen Abschluss zu bringen. Mit einem
Anflug von Zorn dachte Helen daran, dass ihr Bruder Simon erst letzte
Woche wieder durch eine Prüfung gerasselt war.
»Baronets heiraten normalerweise Baronessen«,
antwortete sie jetzt ein wenig ungehalten auf Georges Frage. »Und
was das hier angeht...«, sie wies auf das Kirchenblatt, »habe
ich den Artikel gelesen, nicht die Anzeige.«
George enthielt sich einer Antwort, grinste aber vielsagend. Der
Artikel handelte von Wärmeanwendung bei Arthritis. Sicher
hochinteressant für die älteren Mitglieder der Gemeinde,
aber Miss Davenport litt bestimmt noch nicht unter Gelenkschmerzen.
Immerhin schaute seine Lehrerin jetzt auf die Uhr und kam dabei zu
dem Schluss, den Nachmittagsunterricht doch schon zu beenden. In
einer knappen Stunde würde das Abendessen aufgetragen. Und wenn
George auch höchstens fünf Minuten brauchte, sich fürs
Essen zu kämmen und umzuziehen, und Helen kaum länger
benötigte, war es bei William stets eine längere Prozedur,
ihn aus dem tintenverschmierten Schulkittel in einen vorzeigbaren
Anzug zu stecken. Helen dankte dem Himmel, dass sie wenigstens nicht
damit gestraft war, sich um Williams Erscheinungsbild kümmern zu
müssen. Das übernahm eine Kinderfrau.
Die junge Gouvernante schloss die Stunde mit allgemeinen
Bemerkungen über die Wichtigkeit der Grammatik, denen beide
Jungen nur mit halbem Ohr lauschten. Gleich darauf sprang William
begeistert auf, ohne seine Hefte und Schulbücher eines weiteren
Blickes zu würdigen.
»Ich muss schnell noch Mummy zeigen, was ich gemalt habe!«,
verkündete er, womit die Arbeit des Aufräumens erfolgreich
auf Helen abgewälzt war. Die konnte schließlich nicht
riskieren, dass William in Tränen aufgelöst zu seiner
Mutter floh und ihr von irgendwelchen himmelschreienden
Ungerechtigkeiten der Lehrerin berichtete. George warf einen Blick
auf Williams ungelenke Zeichnung, die seine Mutter gleich sicher mit
Begeisterungsausbrüchen quittieren würde, und zuckte
resigniert die Schultern. Dann packte er rasch seine Sachen zusammen,
bevor auch er hinausging. Helen bemerkte, dass er ihr dabei einen
fast mitleidigen Blick zuwarf. Sie ertappte sich dabei, an Georges
Bemerkung von eben zu denken: »Wenn Sie keinen Mann finden,
müssen Sie sich für den Rest Ihres Lebens mit
hoffnungslosen Fällen wie Willy herumärgern.«
Helen griff nach dem Kirchenblättchen. Eigentlich wollte sie
es wegwerfen, überlegte es sich dann aber anders. Beinahe
verstohlen steckte sie es in die Tasche und nahm es mit auf ihr
Zimmer.
Robert Greenwood hatte nicht viel Zeit für seine Familie,
doch die gemeinsamen Abendessen mit Frau und Kindern waren ihm
heilig. Die Anwesenheit der jungen Gouvernante störte ihn dabei
nicht. Im Gegenteil, er fand es oft anregend, Miss Davenport ins
Gespräch mit einzubeziehen und ihre Ansichten zu Fragen des
Weltgeschehens, der Literatur und der Musik zu erfahren. Miss
Davenport verstand deutlich mehr von diesen Dingen als seine Gattin,
deren klassische Bildung zu wünschen übrig ließ.
Lucindas Interessen beschränkten sich auf den Haushalt, die
Vergötterung ihres jüngeren Sohnes und die Mitarbeit in den
Damenkomitees diverser Wohltätigkeitsorganisationen.
Auch an diesem Abend lächelte Robert Greenwood freundlich,
als Helen eintrat, und schob ihr den Stuhl zurecht, nachdem er die
junge Lehrerin förmlich begrüßt hatte. Helen
erwiderte das Lächeln, achtete aber darauf, Mrs. Greenwood dabei
mit einzuschließen. Auf keinen Fall durfte sie den Verdacht
erregen, mit ihrem Arbeitgeber zu flirten, auch wenn Robert Greenwood
ein unzweifelhaft attraktiver Mann war. Er war groß und
schlank, hatte ein schmales, intelligentes Gesicht und forschende
braune Augen. Der braune Dreiteiler mit der goldenen Uhrkette
kleidete ihn hervorragend, und seine Manieren standen denen der
Gentlemen aus den Adelsfamilien, mit denen die Greenwoods
gesellschaftlichen Umgang pflegten, in nichts nach. Ganz anerkannt
waren sie in diesen Kreisen allerdings nicht; sie galten als
Emporkömmlinge. Robert Greenwoods Vater hatte sein florierendes
Unternehmen praktisch aus
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