Im Land der weissen Rose
nicht das, was ich denke, oder?«, fragte
Helen und nahm ihr die dünne Gazette entschlossen aus der Hand.
Die Seite mit den Kleinanzeigen war aufgeschlagen.
Queenstown, Otago. Welches christliche Mädchen, fest im
Glauben und beseelt von Pioniergeist, hat Interesse, die eheliche
Verbindung mit einem ehrenhaften, wohl situierten Gemeindemitglied
einzugehen ...
Helen schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht, ob sie lachen
oder weinen sollte. »Damals waren es Walfänger, heute
Goldgräber! Wissen diese ehrenwerten Pfarrersfrauen und
Gemeindestützen eigentlich, was sie den Mädchen damit
antun?«
»Na ja, es ist Christchurch, Mutter, nicht gleich London.
Wenn es den Mädchen nicht gefällt, sind sie in drei Tagen
wieder zu Hause«, begütigte Ruben.
»Und da glaubt man ihnen dann auch aufs Wort, dass sie immer
noch so tugendhaft und unberührt sind wie bei der Abfahrt!«,
spottete Helen.
»Nicht wenn sie bei Daphne gehaust haben«, meinte
Fleurette. »Nichts gegen Daphne – mich hätte sie
sofort angeworben, als ich damals hier ankam!« Sie lachte.
»Aber wenn die Mädchen in einer sauberen, ordentlichen
Pension unterkommen, geleitet von Helen O’Keefe, einer
Honoratiorin des Ortes? So etwas spricht sich herum, liebste Helen.
Man wird die Mädchen und vielleicht auch ihre Eltern schon in
Christchurch darauf hinweisen.«
»Und Sie haben die Chance, Helen, den jungen Dingern noch
den Kopf zurechtzusetzen«, bemerkte Leonard McDunn, der von der
Idee angeworbener Bräute genauso viel zu halten schien wie
Helen. »Die sehen doch nur die Nuggets, die so ein glutäugiger
Draufgänger heute in der Tasche hat – und nicht die elende
Hütte, in der sie morgen landen, wenn er zum nächsten
Goldfeld weiterzieht.«
Helen schaute grimmig. »Worauf Sie sich verlassen können!
Ich mache keinem Paar nach drei Tagen die Trauzeugin!«
»Also übernimmst du das Hotel?«, fragte Fleurette
eifrig. »Traust du es dir zu?«
Helen warf ihr einen fast beleidigten Blick zu. »Meine liebe
Fleurette, ich habe in diesem Leben gelernt, die Bibel auf Maori zu
lesen, eine Kuh zu melken, Hühner zu schlachten und sogar ein
Maultier zu lieben. Da werde ich es wohl auch noch schaffen, eine
kleine Pension in Betrieb zu halten.«
Die anderen lachten, aber dann klimperte McDunn auffordernd mit
den Schlüsseln. Ein Zeichen zum Aufbruch. Solange Helens Hotel
noch nicht bestand, hatte er seinem ehemaligen Häftling erlaubt,
noch einmal in der Zelle zu nächtigen. Kein noch so geläuterter
Sünder, meinte McDunn, könnte eine Nacht bei Daphne ohne
Rückfall überstehen.
Normalerweise hätte Helen Leonard hinausbegleitet, um auf der
Terrasse noch ein wenig zu plaudern, aber diesmal suchte McDunn eher
die Gesellschaft von Fleurette. Beinahe verschämt wandte er sich
an die junge Frau, während James sich von Helen und Ruben
verabschiedete. »Ich ... äh, will nicht indiskret sein,
Miss Fleur, aber ... Sie wissen, dass Miss Helen mich interessiert
...«
Fleur lauschte dem Gestammel mit gerunzelter Stirn. Was um Himmels
willen wollte McDunn? Wenn das ein Heiratsantrag werden sollte, wäre
es doch besser, sich gleich an Helen zu wenden.
Schließlich nahm Leonard sich zusammen und brachte seine
Frage heraus. »Also ... äh, Miss Fleur: Wie in drei
Teufels Namen meinte Miss Helen das mit dem Maultier?«
Â
15
Paul Warden hatte sich noch nie so glücklich gefühlt.
Eigentlich verstand er selbst nicht, was mit ihm geschehen war.
Schließlich kannte er Marama von Kindheit an; sie war immer
Bestandteil seines Lebens und oft genug lästig gewesen.Auch
jetzt hatte er nur mit gemischten Gefühlen erlaubt, dass sie
sich bei seiner Flucht ins Hochland anschloss – und am ersten
Tag war er regelrecht wütend geworden, weil ihr Maultier
hoffnungslos langsam hinter seinem Pferd hertrottete. Marama war ein
Klotz am Bein, er brauchte sie nicht.
Jetzt schämte sich Paul dafür, was er ihr während
dieses Rittes alles an den Kopf geworfen hatte. Das Mädchen aber
hatte gar nicht hingehört; sie schien niemals hinzuhören,
wenn Paul seine Bosheiten verbreitete. Marama sah nur seine guten
Seiten. Sie lächelte, wenn er freundlich war, und schwieg,wenn
er sich gehen ließ. Die eigene Wut an Marama auszulassen machte
keinen Spaß. Paul hatte das schon als Kind gewusst, weshalb sie
nie
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