Im Land der weissen Rose
dem Regen
zum Teil schlammigen Wege durch die Canterbury Plains, was die Reise
merklich verlangsamte. Den lebhaften Reitpferden passte das gar
nicht, Igraine pullte schon den ganzen Morgen. Doch Gwyneira selbst
langweilte sich zu ihrem eigenen Erstaunen kein bisschen: Sie war
bezaubert von dem unendlichen Land, durch das sie ritt, dem seidigen
Grasteppich, auf dem die Schafe gern verweilt hätten, und dem
Anblick der majestätischen Alpen im Hintergrund. Nachdem es in
den letzten Tagen erneut geregnet hatte, war heute ein ähnlich
klarer Tag wie nach ihrer Ankunft, und wieder schienen die Berge so
nah, dass man versucht war, nach ihnen zu greifen. Das Land war hier,
nahe Christchurch, noch ziemlich flach, wurde aber zusehends
hügeliger. Es war hauptsächlich Grasland, das sich
erstreckte, so weit das Auge reichte, nur gelegentlich unterbrochen
von einer Buschreihe oder Felsbrocken, die so plötzlich aus dem
Grün ragten, als hätte ein Riesenkind sie in die Landschaft
geschleudert.Ab und zu waren Bäche und Flüsse zu
überqueren, die allerdings durchweg nicht reißend waren,
sodass man gefahrlos hindurchwaten konnte. Hin und wieder wurden
unscheinbare Hügel umrundet – und plötzlich wurde man
mit der Aussicht auf einen kleinen, glasklaren See belohnt, in dessen
Wasser sich der Himmel oder Felsformationen spiegelten. Die meisten
dieser Seen, verriet Warden, seien vulkanischen Ursprungs, doch heute
gäbe es keine aktiven Vulkane mehr in der Gegend.
Unweit der Seen und Flüsse zeigten sich gelegentlich
bescheidene Farmhäuser, auf deren Weiden Schafe grasten. Wenn
die Siedler die Reiter bemerkten, kamen sie meist aus den Häusern
und Ställen, in der Hoffnung auf ein Schwätzchen. Gerald
redete allerdings nur kurz mit ihnen und nahm keine ihrer Einladungen
an, zu rasten und sich zu erfrischen.
»Wenn wir damit erst mal anfangen, sind wir übermorgen
noch nicht auf Kiward Station«, sagte er, als Gwyneira seine
Schroffheit bemängelte. Sie selbst hätte gern einen Blick
in eins dieser niedlichen Holzhäuser geworfen, denn sie nahm an,
ihr künftiges Zuhause sähe ähnlich aus. Gerald ließ
allerdings immer nur kurz an Flussufern oder bei Buschgruppen halten
und drängte ansonsten auf rasches Weiterkommen. Erst am Abend
des ersten Reisetages bezog er Quartier auf einer Farm, die deutlich
größer und gepflegter schien als die Häuser der
Siedler am Rand der Strecke.
»Die Beasleys sind wohlhabend. Eine Zeit lang haben Lucas
und ihr ältester Sohn sich einen Hauslehrer geteilt, und wir
laden sie hin und wieder ein«, klärte Gerald Gwyneira auf.
»Beasley ist lange Zeit als Erster Maatzur See gefahren. Ein
hervorragender Seemann. Hat nur kein Händchen für die
Schafzucht, sonst wären sie schon weiter.Aber seine Frau wollte
unbedingt eine Farm. Sie kommt wohl aus dem ländlichen England.
Und da versucht Beasley sich eben in der Landwirtschaft. Ein
Gentlemanfarmer ...«Aus Geralds Mund klang es ein bisschen
abfällig. Dann aber lächelte er. »Mit der Betonung
auf ›Gentleman‹.Aber sie können es sich leisten,
also was soll’s? Und sie sorgen für ein wenig Kultur und
gesellschaftliches Leben. Letztes Jahr haben sie sogar eine Fuchsjagd
veranstaltet.«
Gwyneira runzelte die Stirn. »Sagten Sie nicht, es gäbe
hier keine Füchse?«
Gerald grinste. »Daran hat das Ganze auch ein wenig
gelitten.Aber seine Söhne sind tüchtige Läufer. Die
haben die Schleppe gelegt.«
Gwyneira musste lachen. Dieser Mr. Beasley schien ein Original zu
sein, und zumindest hatte er einen Blick für Pferde. Die
Vollblüter, die auf dem Paddock vor seinem Haus grasten, waren
bestimmt aus England importiert, und auch die gärtnerische
Gestaltung der Auffahrt mutete altenglisch an. Tatsächlich
entpuppte Beasley sich als rotgesichtiger, gemütlicher Herr, der
Gwyneira entfernt an ihren Vater erinnerte.Auch er residierte mehr
auf seinem Land, als die Scholle mit eigener Hand zu bearbeiten,
wobei ihm allerdings das über Generationen gewachsene Geschick
des Landadels fehlte, den Farmbetrieb auch vom Salon aus effektiv zu
steuern. Seine Auffahrt mochte elegant wirken, doch die Zäune
der Pferdeweiden hätten einen Anstrich gebrauchen können.
Gwyneira fiel auch auf, dass die Weiden abgefressen und die
Wasserbottiche verschmutzt waren.
Ãœber Geralds Besuch schien Beasley sich
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