Im Land Der Weissen Wolke
Mädchen war kein zulässiger Wetteinsatz. Wenn Gwyneira Nein sagte, konnte niemand sie zwingen, auf ein Schiff nach Übersee zu steigen. Und es musste ja auch gar nicht so weit kommen. Diesmal würde er gewinnen. Einmal musste das Glück sich ja wenden.
Silkham mischte die Karten – nicht bedächtig wie sonst, sondern schnell, wie im Rausch, als wollte er dieses entwürdigende Spiel rasch hinter sich bringen.
Fast wütend warf er Gerald eine Karte hin. Den Rest des Stapels umklammerte er mit zitternden Händen.
Der Neuseeländer deckte sein Blatt auf, ohne eine Regung zu zeigen. Herz-Ass.
»Das ist ...« Silkham sprach nicht weiter. Stattdessen zog er selbst. Pik-Zehn. Gar nicht so schlecht. Der Lord versuchte, mit ruhiger Hand zu geben, zitterte dann aber so, dass die Karte vor Gerald auf den Tisch fiel, ehe der Neuseeländer danach greifen konnte.
Gerald Warden machte gar nicht erst den Versuch, die Karte zunächst verdeckt zu halten. Gelassen legte er den Herz-Buben neben das Ass.
»Black Jack«, sagte er ruhig. »Werden Sie Wort halten, Mylord?«
3
Helen hatte mehr als nur leichtes Herzklopfen, als sie jetzt vor dem Büro des Gemeindepfarrers von St. Clement stand. Dabei war sie nicht zum ersten Mal hier, und eigentlich fühlte sie sich meist sogar sehr wohl in diesen Räumen, die so sehr den Amtsstuben ihres Vater glichen. Reverend Thorne war zudem ein alter Freund des verstorbenen Reverend Davenport. Er hatte Helen vor einem Jahr zu der Stellung bei den Greenwoods verholfen und ihre Brüder sogar einige Wochen in seiner Familie beherbergt, bevor zuerst Simon und dann John ein Zimmer in ihrer Studentenverbindung fanden. Die Jungen waren triumphierend ausgezogen, doch Helen war darüber nicht so begeistert gewesen. Während Thorne und seine Gattin ihre Brüder nicht nur kostenlos bei sich wohnen ließen, sondern auch ein wenig beaufsichtigten, kostete die Unterkunft in den Verbindungshäusern Geld und ermöglichte den Studenten mancherlei Kurzweil, die ihrem wissenschaftlichen Fortkommen nicht unbedingt zuträglich war.
Helen klagte dem Reverend oft ihr Leid darüber. Fast jeden ihrer freien Nachmittage verbrachte sie im Hause der Thornes.
Bei ihrem heutigen Besuch erwartete sie jedoch kein entspanntes Teetrinken mit dem Reverend und seiner Familie, und aus seinem Amtszimmer klang auch nicht das dröhnende, fröhliche »Herein mit Gott!«, mit dem der Geistliche seine Schäfchen sonst begrüßte. Stattdessen erklang eine befehlsgewohnte Frauenstimme aus dem Büro, nachdem Helen sich endlich überwunden hatte zu klopfen. In den Räumen des Reverends residierte an diesem Nachmittag Lady Juliana Brennan, Gattin eines pensionierten Leutnants aus dem Stab des William Hobson, ehemals Gründungsmitglied der anglikanischen Gemeinde Christchurch und neuerdings wieder Stütze der Londoner Gesellschaft. Die Dame hatte auf Helens Schreiben geantwortet und diesen Termin im Gemeindeamt mit ihr vereinbart. Sie wollte die »ehrbaren, in Haushalt und Kindererziehung bewanderten« Frauen, die sich auf ihre Anzeige hin beworben hatten, unbedingt selbst in Augenschein nehmen, bevor sie ihnen den Weg zu den »wohl beleumundeten und gut situierten Mitgliedern« der Siedlung Christchurch ebnete. Zum Glück war sie dabei flexibel. Helen hatte nur alle zwei Wochen einen Nachmittag frei, und sie hätte Mrs. Greenwood nur ungern um zusätzlichen Ausgang gebeten. Lady Brennan aber hatte gleich zugestimmt, als Helen ihr diesen Freitagnachmittag für das Treffen vorschlug.
Jetzt rief sie die junge Frau herein und betrachtete wohlgefällig, dass Helen gleich beim Eintreten einen ehrfurchtsvollen Knicks machte.
»Lassen Sie das, Kindchen, ich bin nicht die Queen«, bemerkte sie dann allerdings kühl, woraufhin Helen rot anlief.
Dabei fielen ihr die Ähnlichkeiten zwischen der gestrengen Queen Viktoria und der ebenfalls eher rundlichen und dunkel gewandeten Lady Brennan auf. Beide schienen nur in Ausnahmesituationen zu lächeln und das Leben sonst vor allem als gottgesandte Bürde anzunehmen, unter der man möglichst offensichtlich zu leiden hatte. Helen bemühte sich, ebenso streng und ausdruckslos zu erscheinen. Sie hatte noch einmal im Spiegel überprüft, ob sich auf ihrem Weg durch den Wind und den Regen auf den Straßen Londons keine noch so winzige Strähne aus ihrem straff zum Knoten gewundenen Haar gelöst hatte. Der größte Teil der strengen Frisur wurde ohnehin von ihrem schlichten, dunkelblauen Hut verdeckt, der
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