Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land des Falkengottes. Echnaton

Im Land des Falkengottes. Echnaton

Titel: Im Land des Falkengottes. Echnaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
Vom Netzwerk:
im ganzen Land herrschte.

ZWEI
    Fern bist du, doch deine Strahlen sind auf Erden;
    Du bist in ihrem Angesicht,
    Doch unerforschlich ist dein Lauf.
     
    D ie alte Stadt On lag etwas nördlich von Men-nefer, vor den Mauern der nördlichen Hauptstadt. Seit den Tagen des alten Reiches beherbergte sie das älteste Heiligtum der Beiden Länder, den Tempel des Re. Hinter seinen Mauern und Tortürmen wurden die Thronfolger des Landes in die alten Wahrheiten und in die Geheimnisse, die nötig waren, um als Pharao über das Land herrschen zu können, eingeführt. Auch Prinz Thutmosis verbrachte hier viele Monate, ehe er sein rätselhaftes Ende fand.
    Die Fahrt vom königlichen Palast in Men-nefer nach On dauerte weniger als eine Stunde, und so konnte man jeden Tag dorthin fahren, ohne auf die Annehmlichkeiten des Palastes in Men-nefer verzichten zu müssen. Prinz Amenophis hatte On vorher noch nie besucht und ich spürte genau, wie ihn seine Neugier auf das Sonnenheiligtum mehr und mehr erregte.
    Der Morgen war noch jung und die Luft angenehm kühl, als uns Merire, der Erste Sehende des Re, am großen Torturm der Tempelanlage empfing. Ich hatte unseren Besuch angekündigt, denn ich wusste, dass gerade ältere Menschen unerwartete Besuche nicht schätzen, sie werden dabei zu sehr in ihren festgefahrenen Lebensgewohnheiten gestört.
    Merire dankte mir mein Entgegenkommen mit aufrichtiger Freundlichkeit und dem Versprechen, dem Thronfolger beliebig lange zur Verfügung zu stehen.
    Unser Besuch begann mit einem Rundgang durch die gesamte Tempelanlage von On. Gewiss, alles war sauber und gepflegt, und man spürte, dass hier mit großer Umsicht Ordnung gehalten wurde. Aber es war ebenso nicht zu übersehen, dass seit langer Zeit die Herrscher unseres Landes ihr Sonnenheiligtum nicht mehr mit nennenswerten Neubauten bedacht hatten. Kein Baumeister Ägyptens würde heute solch dicke, grobschlächtige Mauern und so schwerfällige Säulen errichten lassen, wie ich sie hier sah. Auch Prinz Amenophis schien dies aufzufallen, denn schweigend und mit ernstem Blick folgte er Merire überall hin und sah sich alles genau an.
    «Ein so altehrwürdiges Heiligtum habe ich nie zuvor gesehen, Merire», beendete schließlich der Thronfolger sein Schweigen.
    «Ich wäre Euch nicht böse, Prinz Amenophis, wenn Ihr es heruntergekommen nennen würdet. Aber Ihr seht selbst, dass wir uns größte Mühe geben, unsere Mauern, von welchen manche mehr als tausend Jahre alt sind, wenigstens regelmäßig zu streichen. Mehr können wir zumindest für das Äußere des Tempels nicht tun.»
    Der kahlköpfige Siebzigjährige sah Amenophis mit gütig blinzelnden Augen an und zeigte dabei hinter dünnen, ausgetrockneten Lippen seine wenigen abgenutzten Zähne. Der Gedanke, Merire wäre hier schon vor tausend Jahren von Pharao Djedefre vergessen worden, gefiel mir.
    Dann fuhr Merire fort: «Es gibt Gotteshäuser in Ägypten, deren Reichtum allenfalls durch die Schatzkammern Pharaos übertroffen werden. Jahr für Jahr werden sie mit neuen Tortürmen, Säulenhallen und immer höheren Fahnenmasten verschönert. Aber ihr Inneres   …»
    «…   birgt das Allerheiligste», unterbrach ihn Amenophis mitdem Eifer eines Schülers, der stolz ist über sein unerwartetes Wissen.
    «Nein, Prinz!»
    Der Priester des Re schaute sich um, als wollte er sich vergewissern, dass uns niemand gefolgt war, der uns belauschte. Dann beugte er sich etwas zu Amenophis und flüsterte lächelnd: «…   birgt ein finsteres Loch!»
    Der Prinz sah mich verstört an. Ich nickte ihm leicht zu. «Merire wird dir beizeiten erklären, was er damit meint. Du musst keine Bedenken haben. Er ist kein Lästerer!»
    Der weise Priester wirkte jetzt wieder in sich gekehrt, und ich merkte ihm an, dass er über das, was er uns gleich sagen würde, angestrengt nachdachte.
    «Die Tempel des Sonnengottes Re sind alt, Prinz Amenophis, uralt. Aber sie bergen einen Schatz, den andere Tempel nicht kennen», fuhr Merire mit seiner Rede fort.
    Zwei junge Priester, die er mit einem Wink herbeigerufen hatte, öffneten vor uns eine schwere Holztür, durch die wir in einen weiträumigen Saal gelangten. Seine Decke war niedrig, sie wurde von schweren, dicken Säulen getragen, wie es der alten Bauweise entsprach. Sie waren in ihrer ganzen Höhe bemalt. Ich sah frühe Herrscher unseres Landes, wie sie Re Opfer brachten oder wie sie mit einer mächtigen Keule die Feinde Ägyptens niederschlugen. Ich las in den Schriftreihen

Weitere Kostenlose Bücher