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Im Land des Falkengottes. Echnaton

Im Land des Falkengottes. Echnaton

Titel: Im Land des Falkengottes. Echnaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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zeichnen, Tempel, Paläste und Häuser, oder wie wir unsere Gärten darstellen, dann lachen sie uns aus. Denn das, was sie sehen, entspricht nicht der Wirklichkeit, nicht dem, was unser Auge sieht. Einen Teil der Gebäude sehen wir von oben, einen anderen von der Seite. Auf die Teiche sehen wir von oben herab, aber seine Fische sehen wir ebenfalls von der Seite. Aber seit mehr als zweitausend Jahren stellen wir Ägypter unsere Gebäude so dar, und niemand verfiele auf den Gedanken, daran etwas zu ändern. Wir halten die Art unserer Darstellung einfach für richtig. Dasselbe gilt für die Darstellung von Menschen, gleich ob sie gezeichnet oder in die Wände gemeißelt sind. Die Haltung des Oberkörpers ist immer dieselbe, gleich was der Abgebildete tut. Wir sehen die Brust von vorne, sehen zwei Schultern, das Becken aber von der Seite. Kaum anders verhält es sich bei Kopf, Armen und Beinen. Wir stellen unsere Pharaonen stets als junge, schlanke und kräftige Männer dar, gleich wie alt sie sind oder wie sie tatsächlich aussehen. Und Ihr habt soeben die nämliche Feststellung für unsere Sprache getroffen.»
    Der Prinz und auch ich nickten zustimmend.
    «Wir tun das alles aber gewiss nicht, weil wir ungebildet sind oder weil wir die Wirklichkeit nicht wahrhaben wollen. Irgendwann vor langer Zeit haben wir festgestellt, dass der erreichte Zustand gut war. Das, was abgebildet und geschrieben war, galt einfach als richtig. Und weil dieser Zustand gut war, schön war, wagte es niemand mehr, daran etwas zu ändern. Die Angst, dass durch Veränderung der gute, der schöne Zustand vernichtet würde, war zu groß. Angefangen bei Pharao bis hinab zum einfachsten Bauern nahm man als selbstverständlich hin, dass die Schöpfung abgeschlossen und somit vollkommen war. Nie dürfte es ein Baumeister wagen, anders zu zeichnen, als man es vor tausend Jahren tat, dürfte ein Steinmetz Pharao anders darstellen, als wir es noch heute kennen, und ein Schreiber es wagen, an den heiligen Schriftzeichen etwas zu ändern. Da bedurfte es inder Vergangenheit unseres Volkes ganz großer und besonders weiser Männer wie Imhotep oder Ptahhotep. Nur wer über ein so beispielloses Ansehen verfügte wie sie, durfte es wagen, Veränderungen vorzuschlagen oder durchzuführen. Menschen wie Imhotep und Ptahhotep allein genügten jedoch nicht. Um Dinge wirklich zu verändern, bedurfte es auch großer und weitsichtiger Herrscher. Hätte es Imhotep und Pharao Djoser nicht gegeben, stünde wohl nicht eine einzige Pyramide. Ohne Ptahhotep und Pharao Asosi wären unsere Weisheitslehren noch heute dieselben wie vor tausend Jahren.»
    Merire schloss seine Augen und schwieg. Das Schweigen schien unendlich und verlieh seinen Worten eine noch größere Wirkung. In Gedanken versunken betrachtete ich die farbigen Bilder an den Säulen und sah dort unsere Herrscher, so wie sie Merire beschrieben hatte.
    Dann unterbrach er diese Stille, in der doch so viel geschah, und fuhr fort: «Ihr beide habt gerade darüber nachgedacht, ob es nicht doch Veränderungen gab, um meine Worte zu widerlegen. Ihr werdet gewiss manches Beispiel finden. Die Kleidung der Menschen, die Art, das Land zu bestellen oder Tempel zu errichten. Das mag alles sein. Ich sah auch schon Wandgemälde, die so viel anders waren als das, was man bislang zu sehen bekam. Aber was sind diese kleinen Veränderungen im Vergleich zu dem, was sich eben nicht verändert hat? Ein Nichts. Gar nichts!»
    Merire beendete so seine Rede und schloss erneut die müden Augen.
    Prinz Amenophis stand auf und ging an eines der Regale. Dann wandte er sich langsam um und fragte: «Womit beschäftigte sich mein Bruder, wenn er hier bei Euch war, Merire?»
    Langsam wie eine Schildkröte öffnete der Priester die Augen, erhob sich von seinem Stuhl und rückte das Pantherfell, das über seiner linken Schulter lag, ein wenig zurecht. Dann ging er auf Prinz Amenophis zu und umfasste dessen rechten Unterarm.
    «Euer Bruder Thutmosis war ein fleißiger Mann, mein Prinz. Er verbrachte Stunde um Stunde in diesem Raum und las unentwegt in den alten Schriften.»
    Amenophis spürte offenbar, dass dies noch nicht die ganze Antwort war und setzte deswegen nach: «Aber?»
    «Aber er stellte keine Fragen. Keine richtigen Fragen, wenn Ihr versteht, was ich meine.»
    Der Prinz verstand den alten Priester genau.
    Amenophis kam an den Tisch zurück, stellte sich hinter mich, legte seine Hände auf meine Schultern und sagte: «Wenn ich richtig

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