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Im Land des Falkengottes. Echnaton

Im Land des Falkengottes. Echnaton

Titel: Im Land des Falkengottes. Echnaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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die Ehrfurcht einflößenden Namen von Königen wie Chufu, Djedefre, Pepi und Mentuhotep. An den Wänden ragten endlose Regale empor, und zwischen den Säulen standen verschlossene Holztruhen, gewiss dreißig an der Zahl. In diesem Raum verbarg sich mehrtausendjähriges Wissen, die gesamte Weisheit Ägyptens.
    «Hier, mein Prinz, findet Ihr die ältesten Niederschriften der Pyramidentexte ebenso wie den Papyrus, auf welchem der weise Ptahhotep mit eigener Hand seine Weisheitslehre aufzeichnete. Hier liegen die Baupläne der Pyramiden von König Djoser, die der Weiseste aller Weisen, unser als göttlich verehrter Imhotep,mit eigener Hand gezeichnet hat. Wir verwahren Befehle, die das Siegel der Könige Menes und Narmer tragen. Ihr findet in diesen Truhen alles, was die Menschen über die Sterne wissen. Hier werden Landkarten der ganzen Erde verwahrt. Jede uns bekannte Krankheit wird hier in endlosen Papyri beschrieben, und jeden erdenklichen Rat für ihre Behandlung könnt Ihr darin nachlesen. Auf fast jede Frage, mein Prinz, erhaltet Ihr bei uns eine Antwort.»
    Der Alte hielt für eine kurze Weile den Atem an und schloss bedächtig die Augen. Das, was er gerade dem jungen Thronfolger preisgab, schien selbst ihn, den Hüter des Schatzes, zu beeindrucken, ja zu überwältigen.
    Amenophis öffnete langsam eine der Truhen, zeigte mit der rechten Hand auf ihren Inhalt und sah Merire fragend an, bis dieser seine Augen wieder geöffnet hatte.
    «Ihr braucht mich nicht um Erlaubnis zu bitten, Prinz Amenophis. Wir sind nur die Diener Pharaos und die Hüter seines Besitzes», antwortete Merire auf die unausgesprochene Frage.
    Dann erklärte er: «In dieser Truhe findet Ihr ausschließlich Schriften über Krankheiten und Verletzungen des menschlichen Kopfes.»
    Mein Schüler griff wahllos nach einer der gelblich-braunen Papyrusrollen, entknotete bedächtig ihre Schnur und las laut vor:
    «Wenn du einen Mann untersuchst mit einer Klaffwunde an seinem Kopf, die bis zum Knochen reicht und seinen Schädel spaltet, sollst du seine Wunde abtasten. Du wirst jenen Splitterbruch finden, der in seinem Schädel ist, tief eingesunken unter deinen Fingern. Eine Beule wird sich über ihm erheben, er wird bluten aus beiden Nasenlöchern und seinen beiden Ohren, er wird leiden an einer Versteifung seines Nackens und wird nicht auf seine Schultern und seine Brust blicken können. Dann sollst du dazu sagen: Eine Klaffwunde an seinem Kopf, die bis zum Knochen reicht und seinen Schädel zersplittert. Er ist erkrankt an einer Versteifung seines Nackens. Es handelt sich um eineKrankheit, die man nicht behandeln kann. Du sollst die Wunde nicht verbinden, er werde abwartend auf seinem Ruhebett beobachtet, bis die Zeit seines Leidens vorübergeht.»
    Dann hielt Amenophis inne, sah Merire für einen kurzen Augenblick schweigend an und fragte: «Wie alt ist dieses Schriftstück?»
    Ich sah deutlich, wie Merire zusammenzuckte. Seine Augen verkleinerten sich zu schmalen Schlitzen, und mit spitzen Lippen antwortete er. «Etwa zweihundert Jahre, Prinz. Es wurde zu Anfang des mittleren Reiches verfasst. Weshalb fragt Ihr?»
    Der Alte wartete gespannt auf eine Antwort, und er ließ den Prinzen nicht den Bruchteil eines Augenblicks unbeobachtet.
    Amenophis legte die Stirn in Falten und sah noch eine Weile schweigend auf den Papyrus.
    «Verbessert mich, Merire, falls ich etwas Falsches sage! Wenn ich dieses Schriftstück lese, entspricht das, was da geschrieben steht, genau dem, was ich spreche. Heute benützen wir noch dieselben Schriftzeichen, dieselben Worte, unsere Aussprache ist aber eine andere. Ich will damit sagen, dass sich das, was wir sprechen, weiterentwickelt hat, aber nicht die Schrift. Ist das richtig?»
    Schon während Amenophis sprach, nickte der Priester zustimmend. Das alte, faltige Gesicht Merires erhellte sich, und mit zusammengekniffenen Augen sah er Amenophis an.
    «Mit dieser völlig zutreffenden Feststellung, mein Prinz, berührt Ihr Fragen, die seit Tausenden von Jahren für unser Volk von großer Bedeutung sind.»
    Merire zeigte auf einen Tisch und sechs Stühle und fuhr fort: «Wollen wir uns jetzt nicht lieber setzen? Es könnte sein, dass unser Gespräch etwas länger dauert, wenn Ihr die Zeit dazu habt.»
    Amenophis nickte kurz, ohne ein Wort zu sagen, und wir setzten uns nieder. Merire legte seinen rechten Arm bedächtig auf die Kante des Tisches und begann zu sprechen.
    «Wenn ein Babylonier sieht, wie wir Ägypter Gebäude

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