Im Land des Falkengottes. Echnaton
Palastvorsteher meiner Schwester, und Tahuti, der Polizeioberste von Waset, und sie alle vergossen viele Tränen.
«Schutz und Leben sind ganz um ihn,
diesen Gott, den sein Ka behütet,
den König der Unterwelt,
der das Totenreich beherrscht
und den Himmel erobert hat im Triumph,
Osiris, der bis in alle Ewigkeit bestehen wird.»
Mit großen Augen verfolgte Kija den Priester mit dem Angst einflößenden Äußeren des schakalköpfigen Anubis, der noch immer den Toten umrundete, während die übrigen Priester ihren eintönigen und unheimlichen Gesang fortsetzten. Ich stand dicht neben ihr, und gewiss war es Unsicherheit oder Verzweiflung, die sie meinen Arm ergreifen ließ, um sich Halt suchend bei mir unterzuhaken. Ich ließ die arme Frau gewähren, mochten die anderen denken und anschließend reden, was sie wollten, denn auch nach dem Tod des großen Amenophis war ich als Gottesvater unangreifbar.
Kija vergoss keine Tränen, denn den, den sie betrauern sollte, hatte sie kaum gekannt. Ein Freund ihres Vaters war er gewesen, auch ihr Gemahl, gewiss, aber keiner, zu dem sie Liebe empfand; vielleicht ein wenig Zuneigung. So kreisten ihre Gedanken kaum um Bilder aus einer gemeinsamen Vergangenheit, sondern suchten wohl nur nach einem Halt in einer ungewissen Zukunft. Ihre Vorgängerinnen, die Prinzessinnen aus Babylon und Mitanni, durften wenigstens noch die eine oder andere Liebesnacht mit ihrem königlichen Gemahl verbringen, ehe sie in der Weite des Frauenpalastes und in der Vergessenheit verschwanden. Ihr aber war nicht einmal dies vergönnt gewesen, und so befürchtete sie wohl, eines Tages als namenlose Jungfrau ihr Leben beenden zu müssen.
«Mein Gesicht ist ein Falke,
mein Scheitel ist Re,
meine beiden Augen sind die göttlichen Schwestern,
meine Nase ist der unterweltliche Horus,
mein Mund ist der Herrscher des Totenreichs.»
Der Gesang der Priester wollte kein Ende nehmen. Obwohl Amenophis erst wenige Stunden tot war, begann ich schon jetzt über all das nachzudenken, was in den kommenden Tagen zu geschehen hatte. War ich gefühllos, weil ich das tat – schon jetzt tat?
Ich blickte in die Runde der Trauernden und suchte mir unter ihnen diejenigen heraus, die mir nützlich und behilflich sein würden. Dann sah ich wieder auf den toten Ameni und dachte an meine Schwester. Würde sie seinen Tod als eine Fügung des Schicksals ansehen, als eine Rache aller höchsten Götter, weil er ihren Wunsch, die Prinzessin aus Mitanni nicht zu heiraten, missachtet hatte? Ich überlegte, ob sie sich nicht schon längst innerlich von ihm gelöst und an seiner Seite nicht schon längst mehr als nur das förmliche Amt der Großen königlichen Gemahlinausgeübt hatte. Wenn ich mir ihr verbittertes Gesicht vor Augen hielt, mochte ich es glauben. Ich wollte sie nie danach fragen, denn nur so konnte ich mir sicher sein, dass das Bild, welches ich mir von meinem Freund über all die Jahre gemacht hatte, keinen Schaden nahm. Wieder sah ich auf Ameni und wusste, dass ich Teje und Echnaton noch an diesem Tag einen Brief schreiben musste, und ich war mir sicher, dass mir diese Zeilen schwer fallen würden, sehr schwer. Es würde der traurigste Brief sein, den ich in meinem Leben zu schreiben hatte.
Es war nicht viel, was ich schrieb, denn noch war ich außer Stande, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich mochte mir nicht vorstellen, dass Ägypten ohne seinen großen Herrscher fortbestehen konnte. Ich mochte mir aber auch nicht vorstellen, wie mein Leben jetzt weitergehen würde, ohne meine Frau, ohne Ameni, und im Grunde ohne meine Töchter, denn auch sie gingen schon längst ihre eigenen Wege. Lange Zeit saß ich mit solchen Gedanken vor einem leeren Blatt Papyrus, ehe ich in wenigen Zeilen niederschrieb, was sich ereignet hatte.
Noch am Abend jagten die Boten zu Lande los, ritten Tag und Nacht, damit zwei Tage später Achet-Aton erfuhr, was hier in Waset schon traurige Gewissheit war.
In Waset und in jeder anderen Stadt, in jedem Dorf der Beiden Länder herrschte große Trauer. Wie kaum ein anderer Pharao vor ihm, hatte Amenophis den Beiden Ländern eine lange und glückliche Zeit des Friedens und des Wohlstands beschert. Alle Menschen der Stadt, gewiss waren es über sechzigtausend, säumten den Weg vom Palast der leuchtenden Sonne zum Tempel der Millionen Jahre, als wir Osiris Amenophis unter dem entsetzlichen Geschrei der Klagefrauen und begleitet von allen Großen, die in Waset lebten, in das
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