Im Land des Falkengottes. Echnaton
von Nimuria nie geliebt, nie beachtet wurde, lebte schon seit fünf Jahren nicht mehr, und spätestens jetzt wäre sie beim Anblick ihrer schönen Nichte und ihres sichtlich verliebten Gemahls vor Gram gestorben.
Bei dem großen Hochzeitsfest, das in dieser Nacht im Palast der leuchtenden Sonne und in ganz Waset gefeiert wurde, war Nimuria nur für zwei Stunden anwesend; eine längere Teilnahme erlaubte sein Zustand nicht. Gemeinsam mit Kija zog er sich lange vor Mitternacht in den Palast zurück, doch vor seinem Schlafgemach trennten sich nach einem zärtlichen Kuss ihre Wege. In den folgenden Tagen und Wochen konnte Kija ihrenkranken Gemahl nur für kurze Zeit sehen, wenn sie sich nach der schlimmsten Hitze des Tages vor Sonnenuntergang auf der Terrasse trafen. Dann spielte sie für ihn auf ihrer Harfe, sang dazu mit ihrer weichen, angenehmen Stimme, oder hörte ihm zu, wenn er aus seinem langen und erfüllten Leben erzählte. Stets verließ sie ihn mit zärtlichen Küssen auf Stirn, Wangen und Mund, und mit dem Wunsch nach einer baldigen Genesung. Ich empfand Mitleid mit dieser jungen Frau, die sich die ersten Wochen nach ihrer Heirat gewiss anders vorgestellt hatte, auch wenn man im Königreich ihres Vaters längst wusste, dass Nimuria ein alter und kranker Mann war.
Die Hitze des Sommers war jetzt unerträglich, doch es war nicht daran zu denken, dass Pharao nach Norden, in die Oase Fajum, zog, wo seit alters her die Herrscher unseres Landes die Sommerzeit verbrachten. Die ganze Nacht hielt ich mich schon im Schlafgemach Amenis auf und hatte kaum ein Auge zugetan, denn sein Atem ging schwerer als sonst. Morgens wurden die weit oben liegenden Fenster verschlossen, damit die Hitze nicht eindringen konnte und die kühle Luft, die nachts den Raum erfüllte, gehalten wurde.
Nur wenig Licht drang in den Raum und ließ mich das Gesicht meines Freundes nicht mehr als schemenhaft erkennen. Immer wieder wischte ich mit einem feuchten Tuch über seine schweißbedeckte, kalte Stirn und bemerkte dabei, wie er unentwegt an die Decke starrte, dorthin, wo über ihm fünf Abbildungen der schützenden Geiergöttin Nechbet ihre Flügel ausbreiteten, eingerahmt von zwölf heiligen Kreisen, die alle Namen Pharaos umschlossen. Langsam drehte er seinen Kopf zur Seite und sah mich an. Tränen standen in seinen Augen.
«Kümmere dich um das Mädchen, um Kija», sagte er langsam, und ich spürte, wie jedes Wort ihn und seine Seele quälte. Dann blickte er wieder nach oben. Ich verließ meinen Stuhl, setzte mich an den Rand seines Betts und griff nach seiner linken Hand. Er ließ es sich gefallen, und an einem schwachenDruck merkte ich, dass er für diese Geste dankbar war, sich vielleicht danach gesehnt hatte.
«Weißt du noch, was du nach dem Tod meines Vaters zu mir gesagt hast?» Er wandte sich jetzt wieder mir zu, und ohne eine Antwort abzuwarten, sprach er weiter und stammelte langsam die Worte: «Majestät, ich will mich, will mein ganzes Leben in Euren Dienst stellen. Ich werde immer für Euch da sein, wann immer Ihr es wünscht. Ich will jeden Befehl, den Ihr mir gebt, ausführen, so gut ich nur kann. Euer Vater, der Osiris Thutmosis, sei mein Zeuge.»
Ich nickte, während er dies sagte, und jetzt war ich es, dem die Tränen in die Augen schossen.
«Ein Leben lang hast du dir das gemerkt, Ameni?»
«Wie hätte ich das vergessen können, Einziger Freund Seiner Majestät?» Er lächelte mich an.
«Ich muss dir aber noch einmal ein Versprechen abnehmen, Eje, ein letztes. Kümmere dich, so lange du lebst, um Teje und vor allem um meinen Sohn! Kümmere dich um seine Kinder und um deren Kinder. Was immer sie dir antun, steh auch ihnen so treu und ergeben zur Seite, wie mir! Versprich mir das, Eje», flüsterte er leise, ganz leise. Ich beugte mich über ihn, nahm seinen Kopf in meine Hände und drückte ihn fest an mich und fuhr mit meiner Linken durch seine Haare.
«Ich verspreche es dir», flüsterte ich ihm ebenso leise ins Ohr. «Ich verspreche es dir. Es ist das Mindeste, was ich tun kann.»
Meine letzten Worte hat Ameni nicht mehr gehört, denn sein Herz, das Herz Ägyptens, hatte aufgehört zu schlagen. Seine gebrochenen Augen waren auf die Geiergöttin Nechbet gerichtet, bis ich sie ihm schloss.
«Lebe wohl, Amenophis», sagte ich mit zittriger Stimme. «Lebe wohl!»
Ich vergrub mein Gesicht zwischen meinen Händen und weinte so entsetzlich, wie ich noch nie in meinem Leben um einen Menschen geweint hatte.
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