Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
damitdas Herrscherpaar ihn überhaupt hören konnte. Stufe für Stufe schritten sie zwischen den Wedelträgern hinab und gingen auf dem Weg, den die Leibgarde zwischen der Menge freigehalten hatte, zu dem Torturm der Palastanlage. Während auf den Mauern um uns herum erneut Fanfaren erklangen, blickte Tutanchaton auf sein Volk hinab, auf eine unzählbare Menschenmenge aus allen Teilen Ägyptens, aus allen Gegenden der Welt. Auch sie lagen vor Pharao auf dem Boden, und auch ihnen rief der Erste Sehende dreimal die volle Titulatur des Königs zu. Es war ein Brüllen und ein Getöse wie auf stürmischer See, was ihm nun entgegenschlug, ein Furcht erregendes Lärmen, wie es die Soldaten auf dem Schlachtfeld anheben, um sich Mut zu machen. Jetzt war es Stolz, den ich in den Gesichtszügen des Knaben erkannte. Ja, in diesem Augenblick war er stolz darauf, der Herrscher dieses Volkes zu sein.
Dann stieg Tutanchaton wieder hinunter, legte alle Insignien seiner Macht ab und lief in Begleitung des Offiziers Paramessu dreimal um die gesamte Palastanlage, denn nach uraltem Brauch musste er, auch wenn er erst ein Knabe war, zeigen, dass er über die Kraft und Ausdauer verfügte, das Land zu regieren. Der Lauf war für den Jungen ein Leichtes, und unter dem Freudengeschrei der Menschen lief er gewiss dreißig Ellen vor Paramessu durch das Palasttor.
Er stieg wieder auf den Turm, ergriff Pfeil und Bogen und verschoss vier Pfeile, einen in jede Himmelsrichtung, und zeigte so, dass er von nun an die Herrschaft über alle Welt ausübte. Abermals stieg Pharao vom Turm herab und ging mit uns in die Mitte des großen Palasthofs. Dort wartete in einer vorbereiten Grube ein zwölf Ellen hoher hölzerner Djetpfeiler darauf, gemeinsam von Tutanchaton, Haremhab und mir an einem langen Seil, welches am oberen Ende des Pfeilers befestigt war, aufgerichtet zu werden. Der Djetpfeiler, der Pharao Fruchtbarkeit und Wohlstand verhieß, rutschte ganz in die Grube. Wir drei schaufelten die Grube zu, sodass der Pfeiler fest und unverrückbar stand.
Tutanchaton wurde wieder angekleidet und musste nun die Treppe zum Audienzsaal emporsteigen, vor dessen Eingang zwei Throne aus Elektron standen. Auf ihnen nahm das junge Herrscherpaar Platz. Ein Letztes musste noch vollzogen werden, damit Tutanchaton endgültig der rechtmäßige Herrscher war: Mit lauter Stimme erhob der Erste Sehende Pharaos Halbschwester Anchesen-paaton zur Großen königlichen Gemahlin, denn sie allein war ein Kind, das aus der Verbindung eines Herrschers mit einer Großen königlichen Gemahlin hervorgegangen war, und nur durch die förmliche Erhebung Anchesen-paatons zur Großen königlichen Gemahlin konnte Tutanchaton seinen eigenen Thronanspruch unanfechtbar machen.
So wollte es Maat.
Anchesen-paaton trug zu einem blütenweißen, knöchellangen Gewand, einem breiten Schulterkragen und kostbaren Ohrringen und Armschmuck die hohe Doppelfederkrone. Sie war so herrlich anzusehen wie einst ihre Mutter, als Echnaton sie zur Gemahlin erhoben hatte. Anchesen-paaton stand Nofretete an Schönheit wirklich in nichts nach. Doch wie sehr bedauerten wir alle dieses Mädchen, das nur deshalb so ruhig und teilnahmslos dasaß, weil man ihr zuvor einen Beruhigungstrank verabreicht hatte. Zu groß erschien uns die Gefahr, dass ihre geistigen Kräfte plötzlich versagten und sie in einem Anfall von Angst den Hof und alle Gäste in Verlegenheit brachte. Andererseits konnte uns natürlich nur eine hellwache Anchesen-paaton die Mörder ihrer Mutter und ihrer Schwestern zeigen, wenn sie denn unter uns waren. An diesem Tag musste es aber wahrhaftig nicht sein. Nassib gab sich auch alle Mühe, freundlich zu ihr zu sein, legte schüchtern seine Hand auf die ihre, flüsterte ihr ein aufmunterndes Wort zu oder lächelte sie einfach nur an. Die Augen des Mädchens waren wohl von schrecklichen Trugbildern verhangen, denn ungerührt ließ sie alles geschehen.
«Höre, Volk von Ägypten!», rief Meriptah.
«Seine Majestät, sie lebe, sei heil und gesund, bestimmtedurch die Regenten, Gottesvater Eje und General Haremhab, Aper-el zum Wesir über die Beiden Länder. Die Worte, die der Wesir Seiner Majestät spricht, sind Worte Seiner Majestät. Seine Befehle sind die Befehle Seiner Majestät.»
Haremhab überreichte Aper-el das Zepter des Wesirs, und ich übergab ihm einen Siegelring Pharaos, damit er sich durch ihn vor jedermann als Stellvertreter Pharaos ausweisen konnte.
Kriegstrommeln und Fanfaren
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