Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
für Ägypten tragen und damit für das Wohlergehen von mehr als einer Million Menschen. Ich würde darüber wachen, dass Tag für Tag die Gebote der Maat beachtet würden, ja letztendlich würde ich es sein, der bestimmte, was der Maat entsprach und was nicht. Es war an Haremhab und mir, die Grenzen der Beiden Länder zu schützen und die benachbarten und einst mit Ägypten befreundeten Völker von den Hethitern zu befreien. Das Wissen, die Erfahrung und vielleicht auch die Weisheit, dies alles zu tun, würde ich vielleicht haben. Aber wie langenoch würde ich auch die Gesundheit dazu besitzen? So seltsam es klingen mag: Ich beschloss, nicht darüber nachzudenken.
Trommelwirbel und Fanfarenstöße kündigten im Audienzsaal die Rückkehr Tutanchatons an. Die beiden Wedelträger hatten ihren Herrscher in einem Vorraum in ihre Mitte genommen, und noch bevor wir den Saal betraten, hatten sich dort alle außer Anchesen-paaton zu Boden geworfen. Pharao nahm auf seinem Thron Platz, rechts und links standen die Wedelträger, dahinter Haremhab und ich. Mit lauter, fester Stimme rief nun Meriptah in den Saal hinein:
«Der Sohn des Aton ist erschienen, Neb-chepru-Re, der Herrscher über Ober- und Unterägypten, er lebe, sei heil und gesund, der Herr über alle Fremdvölker, der Herr der Welt, der Starke Stier, schön an Geburten, schön an Gesetzen, der die Beiden Länder beruhigt, der die Kronen erhebt und die Götter befriedigt, der Sohn des Re, Herr der Kronen, Tutanchaton, Herrscher von Waset, dem Leben wie Re gegeben werde ewiglich!»
Wieder erklangen die Fanfaren, und Meriptah wiederholte den vollständigen Thronnamen des Herrschers noch zweimal. Jetzt durften sich alle erheben und ihrer Freude über den neuen Herrscher freien Lauf lassen. Es war die Freude, dass Maat wiederhergestellt war und dass die gefährliche Zeit, in der kein Herrscher auf dem Thron der Beiden Länder saß, unbeschadet überstanden war. Es war aber gewiss auch die Freude darüber, dass Ägypten wieder von einem Mann beherrscht wurde, mochte er auch noch so jung sein.
Während die Versammelten vor uns immer lauter jubelten, wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass sich eines Tages Stimmen erheben werden, die über Echnaton und Nofretete nicht nur schlecht reden, sondern vielleicht auch eine nach außen sichtbare Abkehr von ihnen und ihrem Glauben fordern würden. Dafür würde als Erster Meriptah sorgen, dessen war ich mir gewiss. Die Abkehr vom Glauben an Aton als dem einzigenGott war bereits vollzogen. Es konnte nur noch darum gehen, wie lange Aton seine Stellung als höchste Gottheit unter den Göttern Ägyptens wahren würde. Tutanchatons Liebe zu seinem Vater war viel zu innig, als dass er es zulassen würde, selbst wenn er noch ein Knabe war, dass das Andenken an seinen Vater beschädigt wurde. Und es würde auch eine meiner vornehmsten Aufgaben sein, dies zu verhindern. Alles andere wäre Verrat. Verrat an Echnaton, an meiner Tochter und zuletzt an Tutanchaton selbst.
Jetzt erhob sich das junge Herrscherpaar und schritt durch die noch immer jubelnde Schar der Mächtigen hindurch zum großen Eingangstor und zur Treppe, die in den Vorhof hinabführte. In diesem Hof warteten Tausende Untertanen auf ihren König: Beamte und Offiziere, Palastdiener, fremdländische Gäste, unzählige Priester und schließlich die vollständige Leibgarde. Sie alle lagen im Staub, als Pharao am oberen Ende der Treppe erschien. Wieder rief Meriptah dreimal die Titulatur seines Herrschers hinaus, erst danach durften sie sich erheben und Pharao zujubeln. Ihrem alten Brauch folgend, schlugen die Soldaten mit den Schwertern im Gleichklang gegen ihre Schilde, gleichmäßig und schwerfällig zuerst, dann immer schneller werdend, bis schließlich die Menge in diesen Rhythmus einstimmte und zu jedem Schlag eine Silbe des Herrschernamens erklang: «Tut-anch-a-ton, Tut-anch-a-ton, Tut-anch-a-ton» dröhnte es wie von Kriegstrommeln durch den Hof, und es schien mir wahrhaftig eine Kampfansage an alle zu sein, die es je wagen würden, ihrem jungen König und ihrem Land Schaden zufügen zu wollen. Ich meinte an ihren Gesichtern erkennen zu können, dass es ein ehrlicher Jubel war, und zweifelte nicht daran, dass Tutanchaton diesen Untertanen vertrauen durfte.
Mit großen, staunenden Augen sah der Junge auf die Menge hinab, denn einen solchen Jubel, der ihm allein galt, ihm ganz allein, hatte er noch nie erlebt.
«Ihr müsst Euch jetzt erheben!», rief Haremhab laut,
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