Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
kündigten jetzt den Aufmarsch derer an, die dem Guten Gott Botschaften und Geschenke befreundeter Fürsten überbrachten oder die Pharao selbst untertan waren. Wie es Sitte war, führte Thutmosis, der Stellvertreter Pharaos in Nubien, den man auch den Königssohn von Kusch nannte, den prächtigen Zug an. Erst betraten fünfzig Nubier den Hof und bildeten für die Nachfolgenden eine freie Gasse inmitten der vielen Menschen. Die Nubier waren stark wie Löwen, und ihre schwarze Haut glänzte von dem Duftöl, mit dem sie sich eingerieben hatten. Sie schlugen so lange auf ihre Kriegstrommeln ein, bis der Königssohn von Kusch vor Pharao getreten war. Er begrüßte seinen Herrscher, gelobte ihm Treue bis ans Ende seines Lebens und versprach, dass auch Nubien, der südlichste Teil des Reichs, treu zu seinem König stehen werde, wie Maat es gebot. Auf sein Zeichen hin traten paarweise nubische Soldaten vor Tutanchaton und führten die Geschenke ihres Herrn vor: Sie öffneten ohne Unterlass Ebenholzkisten mit Goldkörnern, Karneol und vielen anderen Edelsteinen. Sie schleppten an die fünfzig Stoßzähne von Elefanten vor den Thron und legten sie dort nieder. Sie legten Tutanchaton die kostbarsten Felle und bunte Federn zu Füßen. Aber all das sah sich der junge Herrscher eher gelangweilt an. Dann brachten sie kunstvoll gefertigte Speere, herrliche, aus mehreren Teilen zusammengesetzte Bögen und eine Vielzahl unterschiedlichster Pfeile. Jetzt wurde Nassib schon aufmerksamer. Wortlos stand er auf und zeigte auf einen der Bögen, der es ihm besonders angetan hatte. Thutmosis übergab die Waffe und sah Tutanchaton erwartungsvoll an. Mit dem Ernst eines erfahrenen Soldaten,der vor dem Kampf ein letztes Mal seine Waffen überprüft, nahm dieser den Bogen in die Linke, hob sein Mittelstück bis auf Augenhöhe an und zog mit der Rechten die Sehne so weit er nur konnte nach hinten. Weil er aber am linken Handgelenk keinen Armschutz trug, ließ er die Sehne nicht nach vorn schnellen, sondern führte sie langsam und bedächtig zurück.
«Darf ich ihn behalten?», fragte er den Königssohn von Kusch so treuherzig, dass dieser gar nicht wusste, was er seinem Herrscher antworten sollte, sondern Hilfe suchend zu mir emporsah.
«Seht nicht mich an, Thutmosis», sagte ich. «Gebt Pharao eine ehrliche Antwort!»
«Aber Majestät», begann dieser zu stammeln. «Das alles ist für Euch», und zeigte dabei mit einer weit ausladenden Geste über die zahlreichen Geschenke. «All die Kostbarkeiten, die meine Soldaten vor Euch getragen haben, gehören Euch. Nur Euch allein!»
Tutanchaton glaubte ihm vermutlich kein Wort, denn sofort drehte er sich zu mir um und suchte mit hochgezogenen Brauen nach einer Bestätigung dessen, was er gerade gehört hatte. Ich nickte und stellte sogleich fest, dass Nassib jetzt viel vergnügter nach unten blickte, um sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was ihn noch erwarten würde.
Thutmosis wusste nur zu gut, womit er das Herz des Kindes gewinnen konnte: mit Tieren.
Es waren aber nicht die ausgewachsenen Tiere, die Thutmosis vorführen ließ, sondern durchweg Jungtiere. Zuerst trugen die Nubier auf ihren Armen kleine Gazellen, deren Hörner nicht länger waren als meine Finger, vor den Thron. Dann brachten sie kleine Löwen und Panther, die aufgeregt fauchten und mit ihren winzigen Tatzen die Arme ihrer Wärter zerkratzten, und Käfige mit seltenen Vögeln, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Nubische Kinder schafften Affenjunge der unterschiedlichsten Art herbei, winzige Meerkatzen, kleine Paviane und Schimpansen.
Tutanchaton hielt es jetzt nicht mehr länger auf seinem Thron. Er stand auf und streichelte jedem der Tierkinder über den Kopf, nahm schließlich einen der kleinen Affen und legte ihn behutsam in Anchas Arme. Jetzt schien auch das Mädchen wieder zum Leben zu erwachen, denn endlich legte sich ein zufriedenes Lächeln auf ihr Gesicht, und auch sie streichelte das Kleine und kraulte zärtlich seinen Rücken. Einer der kleinen Paviane hatte es Nassib besonders angetan, denn er gab ihn nicht mehr aus den Händen. Auch das Tier schien sich bei seinem neuen Herrn wohl zu fühlen, denn es umklammerte Pharaos Hals und ließ bis zum Ende der Audienz nicht mehr von ihm ab.
Nachdem alle Schätze und alle Tiere vorgeführt waren, konnte sich Thutmosis sicher sein, dass er von nun an in der Gunst seines jungen Herrn ganz oben stand. Er verneigte sich demütig, und sein Lächeln verriet, dass er
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