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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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wir im Hafen und beobachteten die Schiffe, die ohne Unterlass unzählige Menschen aus allen Teilen Ägyptens, aus dem fernen Mykene, aus Kreta und aus Troja brachten. Wir sahen, wie Lastkähne, die zum Bersten voll waren mit Wein- und Bierkrügen, mit Getreide und Gemüse, mit Herden von Rindern und Schafen, entladen wurden, damit ihr Inhalt auf die Lagerhallen und die Schlachtereien der Stadt verteilt wurde. Auf den Märkten herrschten ein Geschrei und ein Getümmel, als fürchteten die Menschen, es gäbe schon am nächsten Tag nichts mehr, um es zu tauschen.
    «Was bieten die dort an?», fragte mich Nassib und zeigte dabei auf drei junge Frauen, denen ich schon von weitem ansah, dass sie nichts anderes anboten als sich selbst.
    «Sie versprechen den Männern eine schöne Stunde, wenn sie mit ihnen kommen.» Etwas Besseres fiel mir nicht ein.
    «Und was geschieht dann in der schönen Stunde?», ließ der Junge nicht locker. Ich verzog mein Gesicht, wie Kinder es tun, wenn sie etwas nicht essen wollen, und antwortete: «Sie küssen sich und haben sich lieb!»
    Das genügte Nassib. «Küssen!», sagte er langsam und machte ein Gesicht, als hätte er bittere Medizin geschluckt.
     
    Am Abend vor dem Fest mussten Nassib und Ancha früher als sonst zu Bett gehen, und so konnte auch ich mich beizeitenzurückziehen. Ich bewohnte die Gemächer, die mir Amenophis vor über fünfundvierzig Jahren zu seiner eigenen Krönung zugewiesen hatte. Wie weit das alles zurücklag! Teje war damals sechzehn. Drei Jahre älter nur als Anchesen-paaton es jetzt war. Wie viele von ihnen schon nicht mehr lebten! Acha war einer der wenigen, die aus jener Zeit noch übrig geblieben waren. Und seine Frau Iset, die ich so sehr mochte. Iset! Ich musste lange überlegen, wie sie hieß, bevor sie aus Babylon mit uns an den Nil gekommen war und den ägyptischen Namen Iset angenommen hatte. General Nachunte war ihr Vater. Aber wie hatte Iset geheißen? Endlich fiel es mir wieder ein: Teischeba.
    Und dieser Garten! Vor vierzig Jahren konnte man von meinem Fenster aus noch das Schwimmbad sehen, in dem Ameni allmorgendlich seine Bahnen gezogen hatte. Der Jasmin vor mir, damals noch kleine Sträucher, war so sehr gewachsen, dass er jede Sicht auf das Becken nahm. Aber jetzt wogte sein Laub im Wind hin und her wie die Wellen des Meeres, und seine Blüten, kleinen weißen Schaumkronen gleich, trieben mir ihren betäubend-süßen Duft entgegen. Irgendwo weit hinten musste der Raum gewesen sein, in welchem ich die Tänzerin Inena und ihren blinden Bruder zum ersten Mal gesehen hatte. Wie war ich ihr schon beim ersten Anblick verfallen gewesen! Und doch war ich davongelaufen wie ein aufgeschreckter, ängstlicher Hase, als sie mich nur ansah. Aber war ich nicht auch ein Junge gewesen, der Angst hatte vor der ersten wirklichen Begegnung mit einem Mädchen? Was mochte aus ihr geworden sein? Wahrscheinlich ruhte auch sie längst in irgendeinem unbekannten Grab.
    Irgendwann spät in der Nacht hörte ich auf, über Menschen aus meiner Vergangenheit nachzudenken, denn die Einsamkeit, die sich mir dadurch immer deutlicher offenbarte, stimmte mich zusehends traurig.
     
    Es war noch lange vor Sonnenaufgang, als alle Fürsten der Beiden Länder, die bedeutendsten Priester, die Anführer der vierDivisionen und die Vertreter der wichtigsten Verbündeten und derer, die es vorgaben zu sein, im großen Audienzsaal des Stadtpalastes auf das Erscheinen Seiner Majestät warteten. Unzählige Öllampen und Fackeln tauchten die altehrwürdige Säulenhalle in ein wohliges, friedliches Licht, und niemand wagte es angesichts der Würde des Raumes und des Augenblicks, ein lautes Wort zu sprechen.
    Die Perücken waren üppiger und kunstvoller geflochten denn je. In die Schurze, die man jetzt knöchellang trug, waren Hunderte feinster Längsfalten eingearbeitet, und kaum einer der Männer ließ es sich nehmen, der augenblicklichen Mode entsprechend mehrgliedrige bunte Ohrringe zu tragen. Dafür waren jetzt die kurzen Kinnbärtchen, die man noch bis vor wenigen Jahren trug, durchweg verschwunden. Manche unserer Fürsten erinnerten mich eher an aufgeputzte Kampfhähne als an ägyptische Würdenträger. Amenophis, der selbst eitel war wie kein Zweiter, hätte nur über sie gelacht, und sein Vater, Osiris Thutmosis, der strenge und anspruchslose Soldat, hätte sie allesamt aus dem Palast gejagt.
    Je näher wir dem Saal kamen, umso ruhiger wurde es. Haremhab betrat als Erster den

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