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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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vierzig Jahren ein Grabräuber sein Schwert an die Kehle gehalten hatte. Es war nicht die Furcht, die ich vor der Schlacht gegen das elende Kusch durchgestanden hatte. Es war vielmehr jene verzweifelte Angst, die ich in meiner Hilflosigkeit als Vater vor der Geburt meiner zweiten Tochter Mutnedjemet durchlitt. Damals waren die Bilder vom Tod meiner ersten Frau Merit lebendig geworden. Von ihrem stillen, aber so unabänderlichen und schnellen Tod nach der Geburt Nofretetes. Es war die Hilflosigkeit eines daneben stehenden Vaters, die mir so Angst gemacht hatte. Und eine Angst wie jene überkam mich jetzt wieder, als ich meine Tochter auf mich zukommen sah.
    Ist es möglich, dass man um ein Kind, das man nicht sein eigenes nennt, solche Angst empfinden kann?, dachte ich bei mir. Wie schon sooft seit der Geburt Tutanchatons suchte ich in Bruchteilen von Augenblicken gleichwohl verbissen nach der Erinnerung an jenen Abend, als mich Kija, die Mutter des Jungen, nach ihrer Hochzeit mit Echnaton in meinem Palast besucht hatte. War ich, als sie zu mir kam, noch bei Sinnen gewesen, und ereignete sich damals wirklich, was ich so langevor jenem Abend zu erleben gehofft hatte? Oder hatte mich der Zauber des Magiers vor Kijas Eintreffen niedergestreckt und mich die ersehnte Liebesnacht nur träumen lassen?
    Ich fürchtete um den Knaben wie um einen eigenen Sohn. Flüchtig sah ich hin zu ihm, dessen Beinchen noch immer hin und her zappelten, und flüsterte leise, kaum dass sich meine Lippen bewegten: «Ob du mein Sohn bist oder nicht. Ich werde für dich sorgen, als wärst du mein einziger Sohn!»
    Eingerahmt von den Wedelträgern, blieb meine Tochter wenige Schritte vor mir und den anderen stehen, damit die einen vor ihr niederfielen, während ich und die übrigen Mitglieder der königlichen Familie uns tief verneigten.
    «Ich hatte mir so sehr gewünscht, dass wir uns unter anderen Umständen wieder sehen», sagte ich zu ihr, während ich sie umarmte und sich unsere Wangen vorsichtig berührten. Mit geschlossenen Augen atmete ich den Duft des süßlich-herben Öls ein, welches sie unverändert seit ihrer frühen Jugend benutzte, und als meine Hände ihre Arme umfassten, fühlten die unauffällig und doch so neugierig tastenden Kuppen meiner Daumen, dass die Haut der Sechsunddreißigjährigen noch immer so zart war wie die eines jungen Mädchens.
    «Wer kann es sich schon aussuchen, unter welchen Umständen man sich wieder sieht», antwortete sie mit einem gleichgültigen Gesichtsausdruck, der mich innerlich zusammenfahren ließ. Doch als sie mir einige Augenblicke lang schweigend in die Augen sah, konnte ihr Herz nicht mehr widerstehen, und die Muskeln, die eben noch ihrem Antlitz eine herrische Strenge verliehen hatten, versagten ihren Dienst. Die männlich-derben Züge lösten sich, und meine Tochter war – wenn auch für kurze Zeit nur – wieder ein Kind, das nach seinem Vater verlangte.
    «Warum musste das geschehen?», fragte sie mich, und ich sah, wie ihre Augen feucht wurden.
    «Was hat dich veranlasst, nach Achet-Aton zu kommen?», antwortete ich mit einer Gegenfrage. «Mein Bote kann dich nicht in Waset erreicht haben.»
    «Als Aton vor zehn Tagen sein Angesicht verhüllte, fürchtete ich, dass etwas Schreckliches geschehen könnte. Deswegen kam ich.»
    Dann löste sie schnell die Umarmung und ging zwei, drei Schritte auf Teje zu und umarmte sie ebenso liebevoll, ja drückte die alte und gebückte Frau fest an sich, dann Meritaton und Anchesen-paaton, die von da an nicht mehr von der Seite ihrer Mutter wichen, bis wir das Innere des Palastes erreicht hatten.
    Den Knaben hinter mir beachtete Nofretete nicht. Sie würdigte ihn nicht eines einzigen Blickes. Ich vertraute Tutanchaton in einem unbemerkten Augenblick dem Schreiber Maja an, damit er den Prinzen in den Nordpalast zurückbrachte, und bat ihn, nicht von dessen Seite zu weichen, bis auch ich dort eingetroffen war.
     
    Nofretete ließ sich im kleinen Audienzsaal des Stadtpalastes so selbstverständlich auf dem Thron Echnatons nieder, als ob dies schon von jeher ihr Platz gewesen wäre. Im kleinen Kreis der engsten Berater Echnatons und seiner Familie hatte sie es eilig, sich all der Insignien ihrer Macht zu entledigen. Kaum dass sie Geißel und Krummstab niedergelegt hatte und der Zeremonialbart entfernt war, umarmte und küsste sie nochmals Meritaton und Anchesen-paaton, ehe sie sich zuletzt den Chepresch und den Schulterkragen abnehmen ließ. Dann sah

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