Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
gleichmäßige Schlagen der Ruder, lange, bevor überhaupt ein Schiff zu sehen war.
«Sie kommen», sagte ich erleichtert, denn das Warten war mir unerträglich geworden. Die anderen zweifelten keinen Augenblick an meinen Worten und richteten ausnahmslos ihre Blicke nach Süden. Selbst Teje hob schwerfällig ihre Augenlider, ohne im Übrigen die mindeste Regung zu zeigen. Dichte Schwärme aufgeschreckter Wasservögel stiegen erst steil empor, sanken plötzlich wieder herab und strichen dann in tiefem Flug über den Nil hinweg, um nur wenige hundert Ellen weiter erneut im schützenden Schilf Zuflucht und Deckung zu suchen. Zehn, zwölf Ruderschläge noch, und der schlanke, nach hinten gebogene Bugsteven des ersten Schiffes schob sich an der Flussbiegung hinter dem dichten Schilf, dem eben erst die Vögel entflohen waren, hervor, bald gefolgt von den elf anderen Schiffen der königlichen Flotte. Es war herrlich anzusehen, wie Bug für Bug den Nil wie eilig vorangetriebene Pflüge durchfurchten, wie das Wasser in schräg nach hinten verlaufenden Wellen zur Seite gedrückt wurde, bis es gegen den Rumpf des nächsten Schiffes schlug, um schäumend in den Fluss zurückzustürzen.
Es war stets ein unvergessliches Schauspiel, wie unmittelbar vor dem Hafenbecken die Ruderblätter aus voller Fahrt heraus im Wasser stehen gelassen wurden, um die Schiffe abzubremsen, damit sie bald darauf, tausendfach geübt, genau an der Hafenmauer anhielten, ohne allzu heftig gegen die mächtige Wand zu schlagen. So legten die ersten fünf Schiffe an, und sofort sprangendie Soldaten der Leibgarde von Bord. Während die einen die Schiffe vertäuten, nahmen die anderen auf der Hafenmauer Aufstellung, um ihrer Königin sicheres Geleit zu geben.
Dann fuhr die königliche Barke in den Hafen ein. Sie war leicht auszumachen, denn nicht nur an Größe übertraf sie alle anderen Schiffe. Die prächtigen Verzierungen, das gewaltige Deckshaus, das farbenfrohe Segel und vor allem der Baldachin am Bug des Schiffes ließen keinen Zweifel daran, wer diese Barke sein eigen nennen durfte: der Herr der Beiden Länder.
Von weitem erkannte ich Nofretete und die drei kleinen Prinzessinnen. Ebenso erkannte ich schon von weitem, dass meine Tochter alle Zeichen der pharaonischen Macht trug: Nicht die nach ihren eigenen Wünschen angefertigte, oben abgeflachte Krone trug sie, sondern den Chepresch, den blauen Kriegshelm unserer Herrscher, und dazu einen breiten und schweren Schulterkragen. In ihren Händen hielt sie Geißel und Krummstab, und in ihrem Prunkgürtel steckte ein Zierdolch. Sie trug schwere, unübersehbare Siegelringe an ihren Fingern, und ihre Ober- und Unterarme zierten breite Goldreife. Selbst den heiligen Zeremonialbart hatte sie angelegt. Es gab keinen Zweifel: Meine Tochter trat vor allem Volk als Pharao, als der rechtmäßige Herrscher Ägyptens, auf.
Zum unerträglich lauten Schall Hunderter Kriegstrommeln und Posaunen verließ Nofretete zwischen zwei Wedelträgern und gefolgt von den kleinen Prinzessinnen und deren Ammen die königliche Barke.
Das herrschaftliche Auftreten meiner Tochter machte einen Befehl gar nicht nötig: Alle außer den engsten Angehörigen der königlichen Familie warfen sich vor Pharao zu Boden, wie es das ägyptische Volk seit über zweitausend Jahren gewohnt war, sich vor seinem Guten Gott in den Staub zu werfen. Denn selbst ein Ägypter von hohem Rang macht sich keine Gedanken darüber, ob derjenige, der Chepresch, Geißel und Krummstab trägt, dies mit Billigung der Maat tut; wie viel weniger erst daseinfache Volk! Nofretete wusste nur zu gut um die Wirkung ihres Auftretens, das war für mich unübersehbar. Ich sah an ihrer Haltung, an ihrem ernsten, unzugänglichen Gesichtsausdruck, dass sie an der königlichen Macht Gefallen gefunden hatte. An ihrem herrschaftlichen Auftreten, umgeben von Wedelträgern, Soldaten und Dienern, erkannte ich, dass sie offenbar alles daransetzte, an dieser vollkommenen Machtfülle auch weiterhin uneingeschränkt festzuhalten.
Ich hatte geglaubt, meine Tochter zu kennen, und doch hatte ich sie so noch nie gesehen. Ich wusste, dass sie imstande war, nahezu alles zu erreichen, was sie sich vorgenommen hatte. Aber dass sie das, was ich jetzt sah, wirklich erreichen wollte, hätte ich bis zu diesem Tag nicht geglaubt.
Von einem Augenblick zum anderen stieg eine tiefe Angst in mir auf. Es war nicht die Angst, die ich erlebt hatte, als mir in den Steinbrüchen von Tura vor über
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