Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
lag bäuchlings vor ihr und hielt ihr ein Salatblatt nach dem anderen hin, welche das Tier ohne Hast und ohne auch nur einmal aus Furcht vor seinem Gegenüberden Kopf einzuziehen, Stück für Stück auffraß. Nicht weit entfernt saß Prinzessin Anchesen-paaton mit vier Dienerinnen in einem Schattenhaus, spielte Harfe und sang dazu. Hätten wir nicht erst vor wenigen Tagen den Tod Echnatons zu beklagen gehabt, es wäre die friedlichste Zeit gewesen, die ich je verbracht hatte. Ich kratzte mit dem Nagel meines rechten Mittelfingers völlig gedankenlos über die glatte Oberfläche meiner Stuhllehne und war im Begriff, die Augen zu schließen, um ein wenig von vergangenen Tagen zu träumen, da kam mein Diener Ipu in den Garten gelaufen, warf sich vor mir nieder und kündigte mir den Besuch eines Hauptmanns der Leibgarde an.
«Weißt du, was er von mir will?», fragte ich Ipu in barschem Ton, denn ich war darüber verärgert, dass ich nicht in Ruhe gelassen wurde.
«Nein, Herr», sagte er verschüchtert. «Aber er macht einen sehr aufgeregten Eindruck.»
«Es ist schon gut, Ipu. Lass ihn vortreten!»
Meine Stimme klang wieder versöhnlich, denn den armen Ipu traf wirklich keine Schuld.
Wenig später trat der Hauptmann, dessen Gesicht mir bis zu diesem Tag noch nie aufgefallen war, vor mich, verneigte sich tief und wartete unruhig auf Erlaubnis, sprechen zu dürfen.
«Was hast du mir zu melden?», erlöste ich ihn.
«Gottesvater Eje», begann er außer Atem, «Ihre Majestät Semenchkare, sie lebe, sei heil und gesund, befindet sich auf der Anfahrt nach Achet-Aton. Ihre Flotte wird in weniger als zwei Stunden im Hafen einlaufen.»
«Was sagst du da?», entgegnete ich ihm überrascht. «Wie ist das möglich, wo doch mein Bote erst vor fünf Tagen nach Waset aufgebrochen ist?»
«Ihre Majestät hatte die Fahrt nach Achet-Aton bereits angetreten, bevor der Bote von hier aufgebrochen war, und so begegneten sie sich auf halber Strecke.»
Was mochte meine Tochter veranlasst haben, entgegen ihrer Gewohnheit ohne jede Vorankündigung nach Achet-Aton zukommen? Ich hatte jetzt keine Zeit mehr, mir darüber Gedanken zu machen, denn wir hatten Eile, alles für den Empfang meiner Tochter vorzubereiten.
«Wer außer mir weiß noch von der bevorstehenden Ankunft meiner Tochter?»
«Niemand, Gottesvater», antwortete er mir militärisch knapp.
«Du wirst unverzüglich Aper-el, Acha und Mahu verständigen und lässt die Leibgarde antreten. Ich selbst werde mit dem Thronfolger und den Prinzessinnen in einer Stunde im Stadtpalast sein. Beeile dich!»
Mein Herz schlug unruhig, und ich biss mir vor Aufregung unentwegt auf die Lippen, während wir auf der Hafenmauer des Stadtpalastes die Ankunft Nofretetes erwarteten. Welch schreckliches Wiedersehen stand uns bevor! Ahnungslos brach sie in Waset auf, sehnte sich nach ihrem Gemahl, nach Meritaton und Anchesen-paaton, vielleicht auch nach mir und Teje, und auf halber Strecke, mitten auf dem Fluss, erreichte sie die fürchterlichste aller Nachrichten. Welche Qualen mochte sie seitdem durchlitten haben? Machte sie sich vielleicht Vorwürfe, dass sie Echnaton und Achet-Aton verlassen hatte, um in Waset an seiner Stelle zu herrschen? Würde sie mir Vorwürfe machen, dass ich Echnaton verlassen hatte und nicht bei ihm gewesen war, als er mich gebraucht hatte? Aber ich konnte doch nicht anders, ich musste doch den Jungen in Sicherheit bringen!
Die anderen neben mir mochten wohl ähnlichen Gedanken nachgehangen haben, denn auch sie sahen schweigend und mit leerem Blick hinaus auf das Wasser, nach Süden, von wo wir die königliche Flotte erwarteten. Meine Schwester Teje saß, von Alter, Krankheit und Sorgen gebückt, unter einem Sonnensegel. Mehr als sonst hingen ihre Augenlider weit und müde herab; tiefer und länger schienen mir die Furchen neben Nase und Mund, und ich hatte den Eindruck, dass sie mit ihren Gedanken woanders weilte, weit weg und schon längst nicht mehrin dieser Welt. Die Prinzessinnen saßen still und schweigend neben ihr. Nur Tutanchaton ließ seine Beinchen unruhig hin und her baumeln, denn der Thron, auf welchem er saß, war viel zu groß für ihn.
«Ja», dachte ich mir, «dieser Thron ist wirklich noch zu groß für dich!», und sah sogleich wieder hinaus auf die glatte Wasserfläche, die im Licht der bald untergehenden Sonne rotgolden glänzte. Wie sooft war ich es, der als Erster das Nahen der Flotte wahrnahm, denn schon von weitem hörte ich das
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