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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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ich jetzt meine Tochter, «was war es dann, was ihn von uns gerissen hat?»
    «Als wir an der Hafenmauer aufeinander trafen, sagte ich dir, dass ich um Echnaton gefürchtet hatte, als Aton mitten am Tagsein Antlitz vor seiner Schöpfung verhüllt hatte. Vielleicht hat sein Tod gar nichts mit Amun und dessen Priestern zu tun, und es war nur ein Zufall, dass sie bei ihm waren, kurz bevor er sich das Leben nahm, und es war eine Botschaft seines Gottes, die ihn verzweifeln ließ.»
    «Verzeih mir, Nafteta, aber an derlei Zufälle will ich nicht glauben. Hätte sich Aton an jenem Tag deinem Gemahl in schrecklicher Weise geoffenbart, glaubst du dann wirklich, Echnaton hätte erst noch seine ärgsten Widersacher empfangen, ehe er diesen verzweifelten Schritt tat? Und dass sich Aton der Priester Amuns bediente, um seinem Sohn eine unheilvolle Botschaft zu übermitteln, können wir wohl ausschließen.»
    Ich konnte sehen, wie es in meiner Tochter brodelte, wie sie mit dem, was ich gesagt hatte, kämpfte. Sie wollte eine Erklärung für den Tod ihres Gemahls, und sie wollte sie jetzt. Sie konnte sich nicht damit abfinden, den Grund für Echnatons Schritt nicht zu kennen. Und je mehr ihr bewusst wurde, dass der wahre Grund vielleicht für immer vor ihr verborgen bleiben würde, umso rasender wurde sie. Ich sah es ihr an. Ich sah, wie ihre Nasenflügel bebten, wie sie ihre Lippen ungeduldig und zornig aufeinander presste und wie ihre Handflächen unruhig über die Lehnen ihre Thrones fuhren, als wollte sie in den nächsten Augenblicken seinen Goldbelag wegreiben.
    «Dann sag mir, warum er es tat!», schrie sie mich schließlich an, um – kaum, dass der Satz ausgesprochen war – in bittere Tränen auszubrechen. «Warum?», hallte es noch einmal durch den Raum.
    «In dieser Welt, Nafteta», begann Teje leise zu sprechen, «in dieser Welt wirst du eine Antwort nur von denen erhalten können, die zuletzt bei meinem Sohn waren. Dessen bin ich mir gewiss. Mir als seiner Mutter geht es wie dir: Auch mich quält die Frage, warum er es getan hat. Und mehr noch quält mich die Frage, ob ich es hätte verhindern können. Eigentlich war ich an jenem Tag bei ihm gemeldet und hatte ihn gebeten, sich einige Stunden für mich Zeit zu nehmen. Doch ich fühlte michschon morgens kränklich und sagte meinen Besuch bei Echnaton ab. Wäre ich bei ihm gewesen, hätten diese Leute – wer sie auch waren – zumindest an diesem Tag keinen Zutritt zu ihm erhalten.»
    Teje machte eine Pause, doch niemand wagte, auch nur ein Wort zu sagen. Vielmehr sahen alle betreten zu Boden, und wohl mancher dachte darüber nach, ob man der Mutter Pharaos tatsächlich eine wie auch immer geartete Schuld am Tod ihres Sohnes zusprechen konnte. Sie schien dies zu ahnen, denn sie selbst war es, die weitersprach: «Habe ich Schuld auf mich geladen? Sagt es frei heraus! Habe ich Schuld auf mich geladen? Gewiss nicht. Aber ihr könnt euch sicher sein, dass ich mir bis an mein Lebensende Vorwürfe machen werde, dass ich wegen einer harmlosen Unpässlichkeit nicht zu ihm gegangen bin. Vielleicht war er auch enttäuscht von seiner Mutter, weil sie ihn wegen eines unbedeutenden Leidens im Stich gelassen hat.» Einige blickten jetzt ratlos in Tejes müdes Gesicht.
    «Seht mich nicht so an!», fuhr sie sichtlich verärgert fort. «Ich bin nicht so alt oder eingebildet, als dass ich glauben würde, er hätte sich hinabgestürzt, weil ich an diesem Tag nicht zu ihm kam. Aber könnte es nicht sein, dass eine noch so kleine Enttäuschung über mein Fernbleiben, dass die Abwesenheit der Mutter in diesem Augenblick genau jener berühmte Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte? Oder hätte er es getan, wenn irgendein Mensch, und sei es ein noch so unbedeutender Sklave, bei ihm gewesen wäre und gesagt hätte: ‹Tu es nicht›, als er an die Brüstung trat?»
    Meine Schwester hatte wohl Recht. Ich erinnerte mich jenes Tages, als ich das Sterbebett meiner ersten Frau verlassen und keinen Sinn in meinem Weiterleben mehr gesehen hatte. Stand ich nicht schon auf der Brüstung meines Palastes, bereit, alles hinter mir zu lassen, als mich die Stimme meines Freundes Amenophis mahnte, an meinem Leben festzuhalten? Warum konnte ich nicht eine Stunde früher zurückgekommen sein? Gütiger Aton! Eine halbe Stunde nur hätte genügt, und ich wäre beiEchnaton gewesen. Wo hatte ich diese halbe Stunde auf meiner Rückfahrt nach Achet-Aton verloren, wo sie vergeudet? So sinnlos diese Fragen

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