Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
Nofretete einen nach dem anderen mit durchdringendem Blick an und sagte mit ruhiger, aber entschlossener Stimme: «Warum hat er das getan? Habt ihr schon irgendeine Erklärung dafür?»
«Wir wissen nur», begann Mahu seine Rede, nachdem er eine ehrfurchtsvolle Verneigung angedeutet hatte, «dass unmittelbar vor …» Da stockte Mahu, weil er offenbar nicht wusste, wie deutlich er sich ausdrücken durfte.
«Sprecht frei heraus!», half ihm meine Tochter über die Verlegenheit hinweg, und Mahu begann erneut.
«Wir wissen nur, dass unmittelbar vor Pharaos Tod eine Gesandtschaft aus dem Norden bei ihm weilte und diese dieErlaubnis hatte, den Guten Gott unter Ausschluss jeder weiteren Person sprechen zu dürfen. Es heißt, es hätte sich um vier Kaufleute gehandelt. Es gibt aber Hinweise darauf, dass es sich in Wirklichkeit um ehemalige Priester des Amun gehandelt hat, denn …»
«Worauf stützt Ihr diese Vermutung?», unterbrach ihn meine Tochter barsch. Mahu sah zu mir herüber und lenkte so Nofretetes fragenden Blick auf mich.
«Als ich an jenem Tag zurückkehrte, fuhren mein Schiff und die Barke der vermeintlichen Kaufleute im Südhafen dicht aneinander vorbei. Im flüchtigen Hinsehen glaubte ich, zwei ihrer Gesichter schon einmal gesehen zu haben, und drehte mich noch einmal nach ihnen um. Aber sie hatten mir bereits den Rücken zugekehrt, und mir war, als hätten sie das bewusst getan, damit sich unsere Blicke nicht noch einmal treffen konnten. Ich brauchte lange, ehe die Erinnerung zurückkehrte. Doch heute bin ich mir sicher, dass ich sie vor vielen Jahren im Palast Nimurias gesehen habe. Sie gehörten zu den Ersten Sehenden des Amun, die damals gegen ihren Herrscher aufbegehrt hatten.»
Nafteta wusste, dass ich Derartiges nicht leichtfertig sagen würde, und ließ für lange Zeit nicht davon ab, mir in die Augen zu blicken.
«Meine Vermutung ist, dass sie Echnaton mit Aufständen und mit seinem Sturz gedroht haben», sagte ich und war mir dabei sicher, dass auch die anderen meine Meinung teilten.
«Es wurden bereits Vorkehrungen getroffen, Majestät», fuhr Mahu wieder fort. «Hier in der Stadt haben sich Polizisten unter das Volk gemischt, um sofort jeden noch so kleinen Aufruhr zu melden oder gleich selbst zu unterdrücken.»
Nofretete sah mich noch immer schweigend an, und mir schien, als hätte sie die Worte Mahus gar nicht gehört. Dann blickte sie langsam in der Runde umher, sah in jedes einzelne Gesicht und sagte dann schließlich: «Glaubt Ihr wirklich, mein Gemahl Echnaton hätte sich drohen lassen? Glaubt Ihr wirklich, er hätte sich nach allem, was er für Aton und für dieseStadt hingenommen und durchgestanden hat, wegen der Drohung einiger verblendeter Priester in den Tod gestürzt? Ist irgendeiner unter Euch, der von sich behauptet, Echnaton gekannt zu haben? Mir scheint, wohl nicht!»
Verlegen sah ich zu Boden, denn von einem Augenblick zum anderen musste ich mir eingestehen, dass meine Tochter Recht hatte. Es war unsinnig, zu glauben, dass Echnaton eine Drohung ernst nehmen würde, die von Menschen, die für ihn ohne jeden Belang waren, ausgesprochen wurde. Nicht dass er ihren Einfluss unterschätzt hätte, dass er nicht geahnt oder gewusst hätte, dass sie weit weg von Achet-Aton nach wie vor gegen Pharao und seinen Gott hetzten. Aber in seinem Innersten leugnete er ihre Existenz, so wie er stets die Hethiter als eine für Ägypten ernst zu nehmende Gefahr geleugnet hatte. Sein Glaube an die Liebe der Menschen, sein verbissener Glaube an die Wahrheit – an seine Wahrheit – ließen es nicht zu, dass er diese Gefahren als bestehend wahrnahm oder anerkannte. Für ihn konnte nicht wahr sein, was nicht wahr sein durfte.
Doch wie einfach wäre es für uns gewesen, anzunehmen, die Drohung der Priester mit Umsturz hätte ihn in den Tod getrieben! Wie einfach wäre es auch für Nofretete gewesen, denn der Feind und der Schuldige an aller möglichen Unbill, die nach Pharaos Tod noch über das Land hereinbrechen würde, wäre gefunden gewesen. Dessen war sich meine Tochter zweifelsfrei bewusst. Nachdem meine Vermutung ausgesprochen war, hätte ein Kopfnicken von ihr genügt, und Mahu hätte Heerscharen von Spitzeln und Polizisten durch das Land geschickt, um jeden der Sehenden Amuns ausfindig zu machen. Aber ausgerechnet sie, die den größten Nutzen aus diesem Verdacht gezogen hätte, verwarf diesen Gedanken ohne Wenn und Aber.
«Wenn du nicht an eine Verschwörung glaubst», fragte
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