Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
einmal: «Sie segelten!»
«Es ist ja gut», versuchte ein Dritter zu schlichten. «Ich habe es genau gesehen: Der Große setzte das Segel, und der Kleine musste dazu rudern. Jetzt wisst Ihr es genau, mein Herr!»
Noch während er sprach, sah ich angestrengt zwischen all die Schiffe, die den Fluss befuhren, nach Norden, um vielleicht irgendwo ein kleines Segelboot zu erkennen. Aber meine Augenwaren schon zu schwach, um alles, was sich bis zur großen Biegung des Flusses auf ihm bewegte, erkennen zu können.
«Kannst du sie irgendwo entdecken?», fragte ich Ipu ungeduldig.
«Nein, Herr», gab er mir zur Antwort, ohne mich anzusehen.
«Welches ist hier das schnellste Boot?», fragte ich in die Runde der Fischer und sah nach und nach jeden von ihnen an.
«Sie sind alle nicht schnell, Herr», sagte der Zahnlose. «Es sind Fischerboote und keine Kriegsschiffe», setzte er in hämischem Ton nach.
«Hört mir zu», wurde ich jetzt ungeduldig. «Wir müssen die Kinder finden, ehe ihnen etwas zustößt. Versteht ihr mich?»
«Es geschieht jeden Tag so viel», sagte der Alte, und die Gleichgültigkeit in seiner Stimme war nicht mehr zu übertreffen.
«Wisst ihr Faulpelze eigentlich, wen ihr vor euch habt?», schrie Ipu daraufhin die Fischer wütend an.
«Das ist Gottesvater Eje. Und der, den wir suchen, ist …»
«Ist mein Enkel», unterbrach ich meinen Diener, denn ich wollte nicht, dass hier der Name Tutanchaton fiel. Möglicherweise hätte jemand dieses Wissen zu seinem eigenen Vorteil genutzt.
Einige von ihnen senkten scheinbar demutsvoll den Kopf, um mich sogleich von oben bis unten eingehend zu mustern, denn mein Äußeres ließ nicht vermuten, dass ich der Gottesvater war: Ich trug keine Perücke, nur einfache Ledersandalen und einen nicht allzu kostbaren Gürtel. Vor allem fehlte ein Standartenträger, der meinen hohen Rang ausgewiesen hätte. So hielt ich dem Ältesten von ihnen oder dem, welchen ich dafür hielt, meine rechte Hand mit dem Siegelring Echnatons entgegen und hoffte, dass sich mein Gegenüber wenigstens darüber im Klaren war, was die von den heiligen Ringen eingerahmten Schriftzeichen bedeuteten.
Dann meldete sich ein jüngerer Fischer, er mochte achtzehn Jahre alt gewesen sein, zu Wort: «Ich werde Euch mit meinemBoot fahren, hoher Herr», sagte er mehr ängstlich als freundlich und verneigte sich gleich zweimal vor mir, um sogleich mit der Rechten auf sein Boot zu verweisen, das unmittelbar vor uns lag. Während mir Ipu beim Besteigen des kleinen Segelschiffes half, zog Menna, so wurde unser Mann von den anderen genannt, schon das Segel hoch und nahm sodann am Heck seines Bootes neben dem Ruder Platz. Es ging ein leichter Westwind, und so kamen wir leidlich schnell vorwärts, erreichten bald die Mitte des Flusses, trieben am Hafen, dem Stadtpalast und einer lang gezogenen Schilfinsel, die dem Westufer des Nils vorgelagert war, vorbei, bis wir endlich die Biegung nördlich von Echnatons Wohnpalast erreicht hatten.
Unentwegt hielten Ipu und ich Ausschau nach dem Segelschiff der Kinder, aber sosehr wir uns auch Mühe gaben, wir konnten sie nicht entdecken. Nach gut einer Stunde erreichten wir den kleinen Hafen von Chmenu, wo wir uns sofort nach den Gesuchten erkundigten. Aber niemand hatte dort die Kinder gesehen.
Enttäuscht und entmutigt bestiegen wir unser kleines Schiff, um nach Achet-Aton zurückzusegeln. Die Fahrt gegen den Strom war mühsam, und Menna musste all seine Künste aufbieten, um überhaupt vorwärts zu kommen. Es war jetzt schon später Nachmittag, und es würde nicht mehr lange dauern, bis Aton im Westen niedersank.
Als wir uns der Nordspitze der kleinen, nahezu vollständig mit Schilf bewachsenen Insel näherten, wurde Ipu unruhig. Immer wieder streckte er sich, beugte sich aus dem Boot, um an dem weißen Segel vorbei auf die Insel sehen zu können.
«Am westlichen Ufer der Insel liegt ein Boot!», rief er mir zu.
«Seht Ihr, Herr? Dort drüben. Jetzt könnt Ihr den Masten gut erkennen!»
Jetzt erkannte ich nicht nur den Masten, sondern auch das Heck des kleinen Seglers, und trieb unseren Fischer an: «Dorthin! Beeile dich, Menna!»
Am westlichen Ufer des Nordzipfels der kleinen Insel lagzwar das Boot, aber wir sahen keines der Kinder. Während wir dichter an das Westufer des Nils heranfuhren, damit wir mehr von der Insel sehen konnten, hörte ich plötzlich von weitem die Schreie Tutanchatons. Es musste etwas Entsetzliches geschehen sein, denn so aufgeregt, so
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