Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
trieb die königliche Barke so schnell voran, als hätten die Nubier schon zehn oder zwanzig Schläge gemacht. Dann folgten alle anderen Schiffe. Die gesamte Flotte gewann schnell an Fahrt, und es dauerte nicht lange, bis ein Schiff nach dem anderen hinter der ersten südlichen Biegung des Nils verschwand. Bald darauf war auch die letzte Mastspitze hinter Palmen und Sykomoren nicht mehr zu sehen.
Gebückt und mit nur leicht gesenktem Kopf starrte meine alte Schwester noch eine ganze Weile aus den Augenwinkeln nach Süden, als wollte sie ganz sicher sein, dass Nofretete wirklich abgereist war und nicht wieder zurückkehrte. Dann wandte sie sich ihrem Enkel zu, und mit dem verschmitzten Lächeln einer alten Bäuerin sagte sie zu ihm: «Jetzt beginnt für dich ein völlig neues Leben, Tutanchaton. Mein Bruder wird dir allerhand beibringen, und ich werde froh sein, wenn ich nicht alles erfahre, was ihr so aushecken werdet. Aber ich bin mir sicher, dass du mit dem alten Eje viel Spaß haben wirst!»
Tutanchaton sah zu mir hinauf und fand es ganz offensichtlich sehr erheiternd, wie Teje mich genannt hatte, denn er strahlte über das ganze Gesicht.
«Ich jedenfalls will ihm ein Vorbild sein und werde es nicht zulassen, dass er mit Frauen, vor allem mit älteren Damen, seinen Spott treibt.»
Ich zwinkerte meiner Schwester zu, gab Tutanchaton einen Klaps und sagte zu ihm: «Setz dich wieder zu ihr in die Sänfte! Du lässt dich ja doch lieber tragen, als dass du mit mir zu Fuß gehst.»
Ich hatte mich nicht getäuscht.
Es wurde sehr still in Achet-Aton. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass wirklich weniger Fremde kamen, um Handel zu treiben, Neuigkeiten auszutauschen und Botschaften zu überbringen, oder ob sich, wie ich auch, manch anderer zurückzog, um abzuwarten, was die Zukunft bringen mochte. Langweilig wurde es mir dabei nicht, denn ich hatte meine Aufgabe: Tutanchaton.
Er war jetzt mit all seinen Sachen zu mir gezogen, denn ich wollte, dass er wusste, wo er endgültig hingehörte, und dass er meinen Palast als sein alleiniges Zuhause betrachtete. Zwischen seinem und meinem Schlafzimmer lag nur die Kammer meines Leibdieners, und so hatte Ipu jetzt zwei Herren zu bewachen.
Ich legte Wert darauf, den größten Teil des Unterrichts selbstabzuhalten, und damit Tutanchaton mir nicht allein ausgeliefert war, ließ ich die kleine Schule im Nordpalast schließen und alle Kinder, die bislang dort unterrichtet worden waren, zu mir kommen.
Neun Tage kamen vierzehn Kinder im Alter meines Schützlings zu mir, und nur am zehnten Tag der Woche war ich mit Tutanchaton wieder allein. Der Unterricht kostete mich reichlich Kraft, und es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich an all die unterschiedlichen Wesenszüge der Kinder gewöhnt hatte. Da waren einige stille und gut erzogene, wie Tutanchaton, aber auch wilde und schier unbezähmbare wie Ramose, der Enkel Achas, und Paatonemhab, der Sohn eines sehr wohlhabenden Kaufmanns, der mit Tuchen aus allen Teilen der Welt handelte. Es gab schüchterne Knaben, deren Tränen schon beim ersten mahnenden Wort, das ich sprach, flossen. Die Kinder kamen aus der ganzen Stadt zu mir, und es waren nicht nur die Söhne der ersten Familien, die Einlass fanden. Es kamen der Sohn eines Goldschmieds ebenso wie die Zwillinge des Hafenmeisters und der Enkel des Bildhauers Thutmosis. Wie schon vor tausend Jahren entschieden auch heute nicht die Herkunft eines Ägypters über dessen Werdegang, sondern allein seine Begabung und sein Fleiß.
Da sich einige der Kinder auch nach dem Unterricht bis zum Abend bei mir aufhielten, konnte ich deren Verhalten und Gewohnheiten außerhalb der Schulzeit beobachten und stellte dabei sehr schnell fest, dass dann ganz andere Dinge von Bedeutung waren. Jetzt zählten nur noch Geschwindigkeit beim Laufen, Treffsicherheit beim Werfen und die Lautstärke beim Erteilen von Befehlen. Es konnte aber auch nur der ein guter Anführer sein, der sich für seine Bande etwas Besonderes einfallen ließ. So warf Tutanchaton eines Tages die Frage auf, ob ein Treffer seines Wurfholzes nicht nur für Wildenten, sondern auch für Gänse meines Anwesens tödlich sein könnte, und ehe ich gewahr wurde, dass die Frage nicht im Spaß gestellt worden war, lief eine gerade vom Wurfholzmeines Schützlings enthauptete Gans die letzten Schritte ihres kurzen Lebens, bis sie blutleer vor meinem entsetzten Gesicht tot zusammensank.
Ein andermal konnte ich dank meines außerordentlichen
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