Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
vorsichtig in seiner Hand und sah ihn erwartungsvoll an. Der Alte lächelte wissend und ein wenig überheblich und sagte schließlich: «Es ist kein Vogelei, meine großen Jäger. Es ist das Ei eines Krokodils!»
Sofort starrte Nassib angewidert auf das Ei in seiner Hand, kniff die sonst so großen Augen zu Sehschlitzen zusammen, drehte sich um und schleuderte das Ei mit aller Kraft, die er aufzubringen imstande war, gegen die Rückwand des Unterrichtsraums, wo sogleich der stinkende, gelblichgrüne Inhalt des Eis langsam herablief, nachdem seine Schalen klackend zu Boden gefallen waren.
Nur kurz hörte man das kindische Kichern einiger Kinder, dann herrschte betretenes Schweigen.
«Tutanchaton!», rief ich mit strenger Stimme. «Wer gibt dir das Recht, dich so zu benehmen?»
Er sah mich mit großen, weit aufgerissenen Augen an. Nassib hatte offenbar keine Ahnung, weshalb ich ihn tadelte, wo er doch nur begonnen hatte, Rache zu nehmen für den Tod seines Freundes Abu.
«Entschuldige dich bei dem Mann!» Doch er schwieg. Er biss sich verärgert auf die Unterlippe, und mit Tränen in den Augen lief er aus dem Raum.
Ich setzte den Unterricht fort, weil mir klar war, dass sich Nassib durch sein Davonlaufen selbst am meisten bestraft hatte. Denn der Weg zurück in die Gemeinschaft war gewiss nicht einfach. Aber es war unumgänglich, ging es hier doch um das, was ihn am meisten beschäftigte: die Jagd.
Ich sah ihn, wie er draußen unter einem Baum saß und gelangweilt Steinchen für Steinchen in den Teich vor sich warf. Bestimmt war er wütend auf mich. Oder vielleicht doch mehr auf sich selbst? Er tat mir Leid, denn er fand offenbar für sich keinen Weg, ohne Verlust von Selbstachtung zurückzukehren, sich zu entschuldigen und wieder am Unterricht teilzunehmen. Ich durfte ihn nicht noch länger so sitzen lassen. Mit einem Handzeichen bat ich den Jäger, mit dem Unterricht fortzufahren, und ging hinaus.
«Lass mich», sagte er missgelaunt zu mir, noch ehe ich irgendetwas gesagt hatte. Dann wandte er sich von mir ab, verschränkte die Arme vor der Brust und sah trotzig zu Boden.
«Ich habe dir nichts getan, Nassib. Ich weiß gar nicht, weshalb du jetzt mit mir böse bist.»
Ich erhielt keine Antwort. Aber ich spürte, wie es in seinem Kopf arbeitete, wie er fieberhaft nach einem Ausweg suchte, um einfach wieder der normale Nassib sein zu dürfen. Ich nahm ihn in meine Arme und drückte ihn fest an mich.
«Holzkopf!», sagte ich zu ihm. «Willst du wirklich, dass derJäger nur den anderen erklärt, wie man Flusspferde und Krokodile jagt? Jetzt komm endlich!»
Für einen kurzen Augenblick nur leistete der Junge Widerstand, dann erhob er sich mit mir und ging die ersten Schritte mit gesenktem Haupt, um kurz vor dem Haus innezuhalten und sich die Tränen aus den Augen zu wischen. Er sah mich schüchtern lächelnd an und sagte: «Geht es so?»
Ich nickte nur und öffnete die Tür. Ohne dass ich etwas gesagt hätte, ging Tutanchaton jetzt zu dem Jäger, verneigte sich leicht vor ihm und bat um Verzeihung. Dann setzte er sich auf seinen Platz und hörte seinem Lehrer zu, als sei nichts gewesen. Auch wenn er den Rest der Stunde beharrlich schwieg, bin ich mir sicher, dass er sich Wort für Wort dessen, was der Jäger über die Jagd auf Krokodile und Flusspferde erzählt hatte, buchstabengetreu gemerkt hat.
Meine Schwester Teje war ein Leben lang eine Frau, die sehr genau einzuschätzen vermochte, wie es um sie stand. Sie war nicht nur körperlich gebückt und vom Leben und von der Verantwortung ihres Amtes gezeichnet; jetzt, in ihrem 62. Lebensjahr, war sie wirklich todkrank. Sie wusste nur zu gut, dass sich ihre Lebenszeit dem Ende zuneigte. Trotzig, wie sie es so oft war, wies sie jede Hilfe der Ärzte zurück.
«Wie lange wollt ihr mich denn noch ertragen?», sagte sie zu mir, als ich sie wieder einmal ermahnte, die Medizin zu nehmen, die man ihr zubereitet hatte.
«Du wirst doch nicht im Ernst glauben, dass mir das noch etwas hilft?»
Ihre knöcherne Hand war kalt. Lange hatte ich sie gehalten und sanft mit dem Daumen über ihren Handrücken gestreichelt, bis ich mich selbst darüber wunderte, dass sie diese Geste ihres Bruders überhaupt duldete. Wir waren nie rücksichtsvoll oder gar zärtlich miteinander umgegangen. Als Kinder nicht und auch später, als jeder von uns längst verheiratet war, blieben unsere Berührungen stets flüchtiger, oberflächlicher Art.Aber jetzt duldete Teje es, dass ich ihre
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