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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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der Junge, und sein Kopf lehnte noch immer an meiner Brust, während seine Arme meinen Hals fest umschlangen. «Wenn ich erwachsen bin, werde ich eine fürchterliche Jagd auf diese Tiere machen und mich für Abu rächen. Ich und jeder meiner Freunde werden eines Tages Ketten mit den Zähnen dieser gemeinen Tiere um den Hals tragen.»
    Dann schwieg Nassib und begann zu weinen.
     
    Ich brauchte dem Jungen keine Vorwürfe zu machen. Er selbst wusste nur zu genau, wie töricht ihr heimlicher Ausflug auf die Schilfinsel gewesen war. Ich wollte aber mit ihm darüber reden, da ich hoffte, dass er dann das Geschehene schneller und besser verarbeiten würde.
    «Wir haben uns gar nichts dabei gedacht», sagte er zu mir, als ich abends an seinem Bett saß. «Abu wusste, dass die Fischer kein Wort sagen würden, wenn man einfach eines der Boote bestieg. Das hatte er von einem Freund. Und so war es ja auch.»
    «Und warum seid ihr ausgerechnet zu der Insel gesegelt? Es weiß doch wirklich jedes Kind, dass es dort von Krokodilen nur so wimmelt.»
    «Abu sagte, es wäre der beste Platz in ganz Achet-Aton, umEnten zu jagen. Wenn sie aus dem Schilf der Insel hochsteigen, fliegen sie nur bis ans Ufer des Nils. Dort bräuchte man nur ein paar Steine hineinwerfen, damit sie wieder aufsteigen und auf die Insel zurückfliegen.»
    «Weißt du denn, ob Abu überhaupt vorher schon einmal dort war, um zu jagen?»
    Nassib schüttelte nur den Kopf. Dann sagte er: «Lässt du die Lampe brennen, wenn du gehst?» Ich nickte.
    «Ich schicke auch Ipu zu dir, damit er in deinem Zimmer schläft. Du musst keine Angst haben, Nassib. Und wenn du etwas Schlimmes träumst, ist Ipu bei dir und kann dich gleich wecken.»
     
    Das schreckliche Ende Abus hatte die Kinder sehr verändert. Nicht nur Nassib, auch alle anderen waren ernster und nachdenklicher geworden, und ganz im Gegensatz zu früher fragten sie mich jetzt bei jeder Kleinigkeit, die sie ausheckten, um meine Erlaubnis. Freilich entging mir trotz ihrer Rückwärtssprache nicht, dass sie fürchterliche Rachepläne gegen alle Krokodile dieser Welt schmiedeten, zu meiner Beruhigung jedoch unter dem Vorbehalt, dass sie erst einmal erwachsen sein müssten, ehe sie mit ihrem Feldzug beginnen würden. Ich wiederum nutzte des Erlebte dazu, um völlig neue und für die Kinder hoffentlich spannende Elemente in meinen Unterricht einzubauen. So ließ ich einen Schiffsbaumeister kommen, der uns anhand von kleinen Nachbauten die Eigenheiten, Vorzüge und Nachteile aller in Ägypten bekannten Schiffe erklärte. Die Knaben mussten lernen, was ein Steven ist, eine Rah und eine Toppnante, wozu man eine Brasse und die Schoten braucht, und sie lernten den Unterschied zwischen einem Vorstag und einem Fall, das heißt dem Tau, mit dem das Segel gehisst wird.
    Nach diesem Unterricht, der sich über mehrere Wochen hinzog, wollte die eine Hälfte der Knaben später Schiffsbaumeister und die andere Hälfte Schiffskommandant werden. Nach dem Unterricht über Schiffe befassten wir uns eingehend mit allenTieren, die im Nil oder in seiner unmittelbaren Umgebung lebten. Zuerst musste ihnen ein Fischhändler sein gesamtes Wissen über alle Arten von Flussfischen offenbaren, was meine Schüler entsetzlich langweilte. Erst als wir nach einigen Tagen den Mann in seinem Laden unten am Fluss aufsuchten und ihm zusahen, wie er die Fische schlachtete und ausnahm, kam so etwas wie Neugier, allerdings gepaart mit reichlich Ekel, bei den Knaben auf. Nein, Fischer oder Fischhändler wollte gewiss keiner von ihnen werden.
    Dann gab es Unterricht über die vielen Wasservögel, die entlang des Nils lebten. Ein alter und erfahrener Jäger aus dem Palast Echnatons kam mit zwei Gehilfen, zeigte alle Arten von Fallen, Wurfhölzern und Netzen. Er brachte unzählige Eier mit und erklärte den Kindern genau, welches Ei zu welchem Vogel gehörte. Ich war mehr als überrascht zu erfahren, über welches Wissen mein Schützling mit sechs Jahren schon verfügte! Er unterschied die Eier aller Arten von Enten, der Gänse und Reiher, der Kormorane und der Schwäne, des Ibis und des Blässhuhns. Zuletzt allerdings hielt Nassib ein Ei in Händen, mit dem er gar nichts anfangen konnte. Immer wieder drehte er es, hielt es gegen das Licht, als wollte er durch die Schale hindurchschauen, um so zu erkennen, welchen Inhalt es wohl hatte.
    «Weiß keiner von euch, wessen Ei das ist?», fragte der Jäger in die Runde meiner Schüler. Nassib hielt das Ei noch immer

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