Im Land des weiten Himmels
kaufen konnte, und versicherte ihr, ihr jederzeit zu Diensten zu sein, falls sie einen besonderen Wunsch hatte.
Hannah zog ihren Mantel aus und setzte sich. Sie genoss die stilvolle Atmosphäre in dem Zug, befürchtete aber, sich mit einem Sandwich am Tag begnügen zu müssen, wenn sie einigermaßen über die Runden kommen wollte. Zum Glück hatte sie ein wenig Proviant dabei. Die Fahrgäste, die nach ihr kamen, hatten diese Sorgen nicht. Sie waren den Luxus gewöhnt und bewegten sich mit der Selbstverständlichkeit von Menschen, die ständig hofiert wurden. Hannah dachte an Clara und musste unwillkürlich lachen. Jetzt bin ich eher unter den Reichen und Schönen als du, ist das nicht komisch?
Sie lehnte sich zurück und blickte aus dem Fenster. Immer mehr Passagiere bestiegen den 20 th Century Limited, vor allem Geschäftsleute, einheitlich in Anzug und mit Hut und Aktentasche ausgestattet, aber auch junge Paare, die meisten nach der neusten Mode gekleidet und mit jenem selbstsicheren Ausdruck, der ihr vorher schon aufgefallen war. Sie imitierte ihn und beobachtete sich dabei im Fenster des Wagens, aber es gelang ihr nur eine komische Grimasse. Es war schon richtig, dass Clara sich einen Millionär angelte und sie in die Wildnis zog! Gerade schob ein Gepäckträger einen mit Koffern beladenen Wagen vorbei und grinste zu ihr hoch.
Als sie einen rothaarigen Mann auf dem Bahnsteig entdeckte, der ohne Gepäck und mit beiden Händen in den Taschen an ihrem Fenster vorbeilief, duckte sie sich unwillkürlich. War der Bursche mit der Narbe, der etwas nachlässiger gekleidet war als die meisten anderen Gentlemen, ihr vom Fahrkartenschalter bis auf den Bahnsteig gefolgt? Hatte Mr Behringer ihn geschickt, um sie zurückzuholen und von der Polizei festnehmen zu lassen? Wollte ihr Vermieter sie zwingen, ihre Schulden in New York abzuarbeiten? Wollte er sie doch vor Gericht zerren und verurteilen lassen? Ihr Verdacht schien sich zu bestätigen, als er plötzlich näher kam, sie hinter ihrem Fenster zu erkennen schien und in ihren Wagen stieg. Hannah wäre am liebsten davongerannt, wusste aber, dass ein Fluchtversuch wie ein Eingeständnis ihrer Schuld aussehen und alles noch viel schlimmer machen würde. Sie wurde immer kleiner in ihrem Sitz und blickte dem Mann wie ein in die Enge getriebenes Tier entgegen. Aber zum Glück ging er weiter, grüßte nur knapp, und sie entspannte sich. Die besorgten Blicke des jungen Paares, das ihr gegenübersaß und, den Tüten nach zu urteilen, in einem der teuren Läden auf der Fifth Avenue eingekauft hatte, quittierte sie mit einem nervösen Lächeln. Nur um etwas zu tun, öffnete sie ihren Koffer und holte A Daughter of the Snows heraus. Sie schlug an einer beliebigen Stelle auf und gab vor zu lesen, während sie in Wirklichkeit versuchte, sich zu erholen und wieder ruhig zu atmen.
» All aboard «, erklang die Stimme eines Schaffners auf dem Bahnsteig, »zum Twentieth Century Express nach Chicago alles einsteigen! All aboard, folks! «
Hannah registrierte dankbar, wie der Schaffner die Türen zuschlug und sich der Zug langsam in Bewegung setzte. Auf den ersten dreißig Meilen wurden die Wagen von einer elektrischen Lokomotive gezogen, und sie wollte schon enttäuscht feststellen, dass kaum ein Unterschied zur ebenfalls elektrisch betriebenen Hochbahn bestand, bis ihr auffiel, wie wenig das Rattern der Räder zu hören war. Durch die isolierten Fenster drangen Geräusche von draußen nur gedämpft herein, war auch nicht das rhythmische Fauchen der Dampflokomotive zu hören, die in Harmon vor den Zug gespannt wurde. Nur zogen jetzt Rauchwolken an den Fenstern vorbei und verdunkelten die Sonne.
Am Hudson River entlang dampfte der Express nach Nordwesten, der ersten Station ihrer langen Reise entgegen. In Chicago, so stand es auf ihrem Ticket, würde sie in den Pacific Limited umsteigen, ein ähnlich luxuriöser Zug, der sie bis nach Seattle bringen würde. Und dort wartete das Schiff nach Alaska. Vier Tage bis Seattle und dann über eine Woche bis in den hohen Norden würde sie unterwegs sein. Und dort wäre sie noch immer nicht am Ziel, würde sie mit einem Postreiter über sechzig Meilen durch die menschenleere Wildnis nördlich von Fairbanks reiten müssen.
Ein Gedanke, der viele Frauen erschreckt hätte. Doch Hannah blickte erleichtert von ihrem Buch auf, das auch mit einer Reise nach Alaska begann, als ihr bewusst wurde, dass sie New York hinter sich gelassen hatte und einer neuen
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