Im Land des weiten Himmels
andere Lebensmittel lagen sauber verpackt in dem kleinen Blockhaus. Sie versperrte die Tür des Vorratshauses, hatte plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden, und dachte sofort an Adam, den jungen Indianer. Doch als sie sich auf der Leiter umdrehte und nach unten blickte, sah sie einen weißhaarigen Indianer am Flussufer stehen.
»Hallo!«, rief sie aufgeregt. Bei dem Indianer konnte es sich nur um einen Bewohner des Dorfes handeln, das weiter nördlich am Flussufer liegen sollte, vielleicht sogar um Chief Alex höchstpersönlich. »Nicht weglaufen!«
Doch als sie von der zweitletzten Sprosse sprang und zum Fluss hinunterlief, stand dort überhaupt niemand, entdeckte sie nicht einmal ein Kanu im Ufersand, und der Fluss lag verlassen vor ihr. Seltsamerweise hatte sie keine Angst. »Wo bist du? Warum sprichst du nicht mit mir? Du bist herzlich eingeladen, mich zu besuchen!« Im Gegensatz zu ihrem Onkel wollte sie den Kontakt zu den Indianern pflegen, mit ihnen reden und von ihnen lernen. Und wenn sie ehrlich war, hatte sie auch gar keine andere Wahl. In einem Buch hatte sie von einer Arktisexpedition gelesen, bei der nur jene Teilnehmer den eisigen Winter überlebt hatten, die wie die Eingeborenen angezogen gewesen waren. Die anderen waren erfroren. Sie wollte auf keinen Fall so arrogant sein, sondern von den Indianern erfahren, wie man in der Wildnis am besten zurechtkam.
Doch der weißhaarige Indianer war verschwunden, und sie kehrte allein ins Haus zurück. Captain lag träge in der Sonne und blickte nicht einmal auf, als sie an ihm vorbeiging. Sie gönnte sich einen heißen Kaffee, erhitzte eine Dose Campbell’s Gemüsesuppe mit Fleischstückchen und setzte sich an den Küchentisch. Während des Essens blätterte sie in einem zwei Jahre alten Versandhauskatalog, den sie in der Kommode gefunden hatte, und war sich im Klaren darüber, sich extravagante Dinge wie ein festliches Kleid oder einen ausgefallenen Hut niemals leisten zu können. Selbst wenn das Gold je auftauchen sollte, investierte sie lieber in ihr Roadhouse und brachte den Rest auf die Bank.
Nach dem Essen schrieb sie einen Brief an ihre Freundin Clara in New York. Bis spät in der Nacht saß sie darüber. Es gab so viel zu erzählen, dass selbst drei eng beschriebene Seiten nicht dafür ausreichten. Clara verriet sie alles, auch ihre intimsten Geheimnisse, die in dem einen Wunsch gipfelten, Frank wiederzutreffen und so glücklich wie die Frauen in den Ranch Romances sein zu dürfen.
»Ich weiß, dass mich manche Leute anders einschätzen«, schrieb sie, »und in mir eine starke und selbständige Frau sehen, die ich wohl sein muss, wenn ich New York verlasse und allein quer durch die Vereinigten Staaten und bis nach Alaska fahre, um dort ein Roadhouse in der Wildnis zu führen. Aber das schließt doch nicht aus, dass man sich in einen Mann verliebt und sich nichts sehnlicher wünscht, als mit ihm glücklich zu werden.«
Der Brief wurde fünf Seiten lang, und sie fühlte sich beinahe erleichtert, als sie ihn in einen Umschlag steckte. Es half, mit einem Menschen über seine Probleme sprechen zu können, selbst wenn er mehrere tausend Meilen entfernt lebte und es nur über einen Brief geschah. Sie legte den Brief auf den Tresen, um ihn griffbereit zu haben, wenn der Postreiter kam.
In dieser Nacht schlief sie lächelnd ein, und in ihrem Traum wurde sogar der Wunsch erfüllt, den sie Clara geschildert hatte. Das Dröhnen eines Flugzeugmotors drang an ihre Ohren. Sie sah Frank aus dem Cockpit steigen und rannte ihm entgegen. Sie küssten sich leidenschaftlich, er flüsterte etwas in ihr Ohr und sie kicherte, er küsste sie noch einmal und sagte: »Ich liebe dich!«
18
Ausgerechnet während der dunklen Stunden nach Mitternacht wurde Hannah durch ein Geräusch geweckt. Sie öffnete die Augen und lauschte. Aus dem Wohnzimmer drang ein leises Knarren herauf. Ihr erster Gedanke galt dem Husky, der irgendwie ins Haus gekommen sein musste, dann wiederholte sich das Knarren, und diesmal klang es nach einem zweibeinigen Eindringling.
Sie schlug die Decke zurück und stand vorsichtig auf. Wie hatte sie nur so unvorsichtig sein können, den Riegel nicht vorzulegen! Und das Gewehr, mit dem sie einen Eindringling hätte bedrohen können, stand unten an der Haustür. Auch der Boden im Schlafzimmer knarrte, und es war beinahe unmöglich, geräuschlos durch das Zimmer zu gehen. Sie versuchte es dennoch, schlich in dem blassen Mondlicht, das durchs Fenster
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