Im Land des weiten Himmels
die Waren bezahlen sollte. Sie durfte auf keinen Fall vergessen, »Bücher« daraufzuschreiben. Während der kalten Wintermonate würde sie viel Zeit zum Lesen haben, und die kitschigen Ranch Romances wurden auf Dauer langweilig. Im Gegensatz zu vielen anderen Bewohnern der Wildnis, die den Winter in der Stadt verbrachten, wollte sie hier draußen bleiben, bei ihrem Onkel oder auch allein, um die Fallensteller, die im Winter unterwegs waren, in ihrem Roadhouse bewirten zu können. Wenn sie einen Kredit bekam, war sie auf jeden Dollar angewiesen, um ihn zurückzahlen zu können.
Von der Veranda drang ein leises Knarren herein. Sie hatte die losen Bretter doch gerade erst befestigt. Zögernd ließ sie den Löffel sinken und stand auf. War es möglich, dass ihr die Fantasie schon nach wenigen Tagen in diesem abgelegenen Tal einen Streich spielte?
Sie ging zur Tür und öffnete sie behutsam. Als sie den weißhaarigen Indianer auf der Veranda stehen sah, wich sie einen Schritt zurück und unterdrückte nur mühsam einen Schrei. »Wer … bist du?«, stammelte sie.
»Ich bin Chief Alex«, sagte er. »Ich will, dass du gehst!«
Er sah nicht gerade wie ein Häuptling aus und entsprach in keinster Weise dem Bild, das sie sich von dem einflussreichen Krieger gemacht hatte. Natürlich wusste sie, dass die Indianer in Alaska nicht so aussahen wie die Prärieindianer mit ihren Federhauben und ihren buntbemalten Lanzen und nicht einmal den Kriegern auf den Fotografien entsprachen, die von »Buffalo Bill’s Wild West« in Umlauf und sogar in der New York Times abgedruckt waren. Aber ein bisschen stattlicher hatte sie sich einen Häuptling schon vorgestellt. Er war untersetzt und hatte sogar einen leichten Oberlippenbart. Seine Wollhose war mehrfach geflickt, und seine Schnürstiefel mussten einem Goldsucher gehört haben, der vor über zwanzig Jahren am Gold River gewesen war. Das einzig Indianische an ihm waren die beiden langen Zöpfe, das Lederwams aus Elchleder und eine mehrfach gewundene Kette aus bunten Perlen. Sein Gesicht war stark zerfurcht, die dunklen Augen erstaunlich klar.
»Und ich bin Hannah Stocker«, erwiderte sie. »Warum kommst du nicht ins Haus und trinkst einen Kaffee mit mir.«
»Ich will, dass du gehst«, wiederholte der Häuptling. Er sprach mit einem ungewöhnlich starken Akzent, der es ihr schwermachte, ihn zu verstehen. »Wir wissen, dass der Dutchman nicht mehr hier ist. Wir glauben, dass er tot ist. Ihn haben wir geduldet, weil er vom Tode gezeichnet war und nur noch darauf wartete, auf die andere Seite zu seinen Vorfahren gehen zu können. Du bist anders. Du bist jung und voller Tatendrang und willst dieses Haus in ein Roadhouse verwandeln.«
Hannah fragte sich, wie der Häuptling zu dieser Vermutung kam. »Das stimmt, Chief Alex. Aber auch mein Onkel wollte ein Roadhouse eröffnen, und falls er wirklich tot ist, habe ich das Recht, dasselbe zu tun, denn er hat mir diesen Besitz vererbt.« Sie versuchte, den Häuptling mit einem Lächeln zu versöhnen. »Aber dieses Roadhouse wird auch für euch von Nutzen sein. Ich werde mit euch handeln, euch Felle und frisches Fleisch abkaufen, und ich werde immer Kaffee und Kuchen für euch haben.«
Bei dem Wort »Kuchen« hellten sich seine Augen für einen kurzen Moment auf, dann verdunkelten sie sich wieder, und er fuhr im selben Tonfall fort: »Wenn es ein Roadhouse in diesem Tal gibt, werden immer mehr Leute kommen. Was ist mit der Erde, die sie aufreißen? Den Bäumen, die sie fällen? Den Flüssen, die sie verschmutzen? Dem Wild, das sie verjagen? Die Weißen haben viel Unglück über uns gebracht, und so wird es auch diesmal sein.«
»Das würde ich niemals zulassen, Chief Alex. Warum kommst du nicht ins Haus und trinkst einen Kaffee mit mir? Lass uns in Ruhe über alles reden.«
Der Häuptling schüttelte den Kopf. »Komm mit mir!«
Er drehte sich um und ging, und Hannah blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Für einen Mann um die siebzig lief er erstaunlich schnell. Mit weit ausholenden Schritten stieg er auf einen der mit farbenprächtigen Blumen bedeckten Hügel. Ihr fiel es schwer, mit ihm Schritt zu halten. Über den Hügelkamm erreichten sie einen schmalen Fichtenwald, der sich unterhalb eines Geröllhanges nach Osten zog und ihnen den Weg zu einer steilen Felswand wies, die wie die gigantische Mauer einer mittelalterlichen Festung aufragte.
Am Ufer eines schmalen Baches blieb er stehen. Ringsum verstreut lagen die verkohlten
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