Im Land des weiten Himmels
geben.
Sie stand auf und sog die würzige Luft ein, ging ins Haus und blickte sich im Wohnzimmer um. Es war bereits wie der Gastraum eines Roadhouse eingerichtet, wirkte aber auch aufgeräumt wenig einladend. An die Fenster gehörten Vorhänge, auf die kahlen Tische bunte Tischtücher, und an die Wände würde sie einige der Fotografien hängen, die sie an der Wand über der Treppe gesehen hatte. Vor dem Ofen stellte sie sich ein Bärenfell vor, das gehörte im Norden irgendwie dazu.
Falls ihr Onkel zurückkehrte, wollte sie ihn mit einem fertig eingerichteten Roadhouse überraschen. Viel würde es am Anfang nicht einbringen, das war ihr klar, aber mit etwas Glück und Geschick würden sie über die ersten Monate kommen, und sobald sich herumgesprochen hatte, wie gut ihr Eintopf und ihre Kuchen schmeckten, würden die Gäste schon kommen und für den nötigen Aufschwung sorgen.
Buddy Lyman hatte recht, bald würden Buschpiloten die Post bringen, und mit den Flugzeugen würden auch Menschen kommen, die sich wie sie an dieser Wildnis erfreuten und bei ihr Rast machten.
Sie blieb mitten im Raum stehen. Das Licht der Kerosinlampe auf dem Tresen reichte nicht, auch an die Decke gehörte eine Lampe, ein kleiner Kronleuchter vielleicht. Eine gute Idee wäre auch, ihre Gäste zu bitten, sich mit einer Fotografie, einer Zeichnung oder sonst etwas an den Wänden zu verewigen. Auf den Tresen wollte sie einen gläsernen Behälter mit selbst gebackenem Kuchen stellen, und in dem Regal, das ihr Onkel hinter dem Tresen aufgehängt hatte, stellte sie sich Flaschen mit Coca-Cola, Ginger Ale, Dr. Pepper, verschiedenen Sirups und Sodawasser vor, solange Alkohol verboten war. Aber das alles kostete Geld, und sie besaß kaum mehr ein paar Dollar.
Ob ihr Onkel Leopold irgendwo Gold versteckt hatte? Einige Nuggets würden zur Eröffnung seines Roadhouse schon reichen, ansonsten musste sie eben die Bank davon überzeugen, dass sie das Zeug dazu hatte, ein solches Gasthaus in die schwarzen Zahlen zu bringen. Oder sie fand einen finanzstarken Teilhaber, der ihr das Geld vorschoss. In New York schaffte es kaum ein Geschäftsmann ohne einen Kredit.
Ein Geschäftsmann … Jetzt dachte sie selbst schon wie Buddy Lyman. Als ob eine Frau nicht fähig wäre, sich in der Wildnis zu behaupten. Nein, Mr Cowboy, rief sie ihm in Gedanken zu, ich werde nicht nach Fairbanks oder Anchorage zurückgehen. Ich werde ein Roadhouse eröffnen und dir zeigen, wozu eine Frau wie ich fähig ist.
Sie ging in die Küche und schenkte sich von dem lauwarmen Kaffee ein, der vom Mittag übriggeblieben war. Zucker war genug da, zwei große Tüten, aber die Milch ging zur Neige. Mit der einen Dose würde sie kaum über die nächsten Tage kommen. Am nächsten Tag musste sie unbedingt das Vorratshaus inspizieren. Davon, wie gut es gefüllt war, hing unter anderem ab, ob sie bleiben konnte und wie lange, da brauchte sie sich gar nichts vorzumachen. Oder sollte sie sich in den Fluss stellen und mit bloßer Hand versuchen, Fische zu fangen?
Sie öffnete den Küchenschrank und fand ein Glas mit eingelegten Gurken und einige Flaschen Coca-Cola. Anscheinend hatte ihr Onkel dasselbe Lieblingsgetränk wie Frank. Frank … Schon wieder Frank. Der Bursche ging ihr einfach nicht aus dem Kopf. Sie schüttete den restlichen Kaffee in die Schüssel mit dem schmutzigen Geschirr.
In der Küche war nirgends Gold, und auch in den anderen Zimmern wurde Hannah nicht fündig. So angestrengt sie auch suchte, es gab keine Geheimfächer und Nischen, in denen ihr Onkel seine Ersparnisse versteckt haben konnte. Die Hoffnung, er könnte sein Gold auf die Bank gebracht haben und dort ein Konto unterhalten, stellte sich ebenfalls als vergeblich heraus. In seinen Unterlagen gab es keinen einzigen Kontoauszug und auch keinen Brief seiner Bank. Entweder hatte er seine Ersparnisse bereits aufgebraucht und war vollkommen mittellos, oder er trug sein Gold bei sich, damit es nicht Einbrechern in die Hände fiel. Im Haus schien es nicht das winzigste Nugget zu geben. Sie stand beinahe mittellos da.
Enttäuscht kehrte Hannah in die Küche zurück. Würde ihr die Bank den Kredit auch geben? Sie brauchte nur die Augen zu schließen, um die unbequemen Fragen zu hören, die man ihr stellen würde: Ihr Onkel wird noch immer vermisst? Sie sind ganz allein? Können Sie uns denn irgendwelche Sicherheiten bieten? Haben Sie Ersparnisse? Nein, das Roadhouse gehört immer noch Ihrem Onkel, solange er vermisst wird.
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