Im Land des weiten Himmels
hereinschien, in Richtung Tür und trat schon nach wenigen Schritten auf ein loses Brett. Gleich darauf wehte kühle Luft die Treppe herauf, und sie glaubte, die Haustür leise zuklappen zu hören.
Ohne zu überlegen, rannte sie ins Wohnzimmer hinab und riss die Haustür auf. Wind schlug ihr entgegen. Die Veranda war leer, und auch auf dem Pfad zum Waldrand und den Hügeln war niemand zu sehen. Sie schnappte sich das Gewehr und lief trotz der Böen, die unter ihr Nachthemd fuhren, barfuß am Haus entlang und blickte zur Anlegestelle, aber auch dort entdeckte sie den Eindringling nicht. Verwirrt kehrte sie ins Haus zurück. Sie hatte sich wohl getäuscht. Wahrscheinlich der Wind, der in dieser Nacht stärker von Norden her wehte und ein paar lose Bretter der Veranda bewegt und an der Haustür gerüttelt hatte.
Sie schob den Riegel vor, blieb vor dem Ofen im Wohnzimmer stehen und legte ein paar Holzscheite nach. Nachts wurde es empfindlich kalt. Immer noch verstört kehrte sie ins Schlafzimmer zurück und kroch unter die Decke. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis sie sich wieder aufgewärmt hatte und einschlafen konnte. In ihren Traum fand sie nicht zurück. Statt Frank erschien der weißhaarige Indianer, der sie schon einmal erschreckt hatte, und bedrohte sie mit dem Gewehr ihres Onkels: »Verschwinde aus unserem Tal, weiße Frau!« Gleich darauf krachte ein Schuss, und sie schreckte erneut in ihren Decken hoch.
Diesmal war es bereits hell, und ihr Wecker zeigte halb sieben. Sie blieb eine Weile wie gelähmt sitzen, starrte auf die offene Tür und atmete erleichtert auf, als ihr klar wurde, dass sie den Schuss nur geträumt hatte. Sie wusch sich mit dem kalten Wasser, das sie schon am vergangenen Abend in die Waschschüssel auf der Kommode gefüllt hatte, und zog sich an: die Nietenhose, die eigentlich für einen Mann bestimmt war, aber hier draußen wohl niemand störte, eine karierte Bluse, die Jacke mit dem Pelzkragen und ihre neuen Stiefel. Ihre Haare band sie im Nacken mit einer Lederschnur zusammen. Ein Vorteil in dieser Einsamkeit, überlegte sie amüsiert, man brauchte sich nicht ständig herauszuputzen und keine Angst zu haben, dass einen andere Leute wegen schlampiger, aber bequemer Kleidung kritisierten oder auslachten. Auf der heimatlichen Farm hatten die Frauen auch zweckmäßige Kleidung getragen, und wenn sie ehrlich war, wollte sie gar nicht, dass der frische Wind ständig unter ihren Rock fuhr. Selbst im Hochsommer konnte er in dieser Höhe ausgesprochen unangenehm sein.
Wie an jedem Morgen führte ihr erster Weg sie zu Captain. Sie hatte sich bereits an den Husky mit dem weißen Fleck auf der Stirn gewöhnt und konnte sich schon gar nicht mehr vorstellen, wie es ohne ihn gewesen war. Sie begrüßte ihn herzlich und stellte ihm sein Fressen hin. Sie ging zum Fluss, blickte sich aufmerksam um, bevor sie den Eimer ins Wasser tauchte, konnte aber kein Lebewesen außer einem silbernen Fisch entdecken, der übermütig aus dem Wasser sprang und wieder untertauchte, und blieb auch vor dem Haus noch einmal stehen und suchte die Gegend ab. Die Senke lag verlassen vor ihr, kein weißhaariger Indianer war in der Nähe.
Sie kehrte ins Haus zurück, gönnte sich einen heißen Kaffee, inzwischen ohne Milch, aber mit Zucker, und aß einen Zwieback mit selbstgemachter Blaubeermarmelade. Ihr Onkel hatte anscheinend über mehr Talente verfügt, als sie angenommen hatte. Nach dem Frühstück stellte sie ihr handwerkliches Talent auf die Probe, indem sie neue Nägel in einige lockere Bretter auf der Veranda schlug und auf den drei kleinen Gemüsebeeten des Onkels Unkraut jätete. Sie hatte lange nach dem Werkzeug suchen müssen und es in einem Einbauschrank unter der Treppe gefunden. Dort lagen auch gemusterte Stoffe gestapelt.
Nachdem sie sich eine Weile ausgeruht hatte, trat sie auf die Veranda und sprach ein Gebet für ihre tote Mutter. »Falls Onkel Leopold wirklich tot ist, hoffe ich nur, ihr beiden habt euch da oben gefunden«, schloss sie. Sie blickte zum Himmel empor. Die unglückliche Liebe zwischen ihrer Mutter und ihrem Onkel machte ihr zu schaffen, umso mehr, als sie sich eingestehen musste, selbst verliebt zu sein und nicht eben glücklich.
Zum Mittagessen kochte sie frischen Kaffee und wärmte den Rest der Gemüsesuppe vom Vortag auf. Während sie im Topf rührte, begann sie in Gedanken eine Einkaufsliste für den Postreiter zusammenzustellen, obwohl sie nicht die geringste Ahnung hatte, wie sie
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