Im Leben wird dir nichts geschenkt.
war gnadenlos und erschütternd zu sehen, wie Mädchen, die bis zu zwanzig Jahre jünger waren als ich, aussahen, als wären sie völlig am Ende. Ich sagte mir: »Sie dich nur gut um, Gitte. Gott sei Dank hast du rechtzeitig Hilfe bekommen.« Und dabei hatte ich mich darum drücken wollen.
Mit der größten Krise wurde ich an meinem Geburtstag konfrontiert: Ich fühlte mich verängstigt, einsam und zu Tode betrübt. Ich flehte sie an, mir wenigstens ein fünfminütiges Telefonat mit Mattia zu erlauben. Und wenn ich seine Stimme nur eine halbe Minute lang gehört hätte, wäre alles gut gewesen.
»Es gibt eine Telefonzelle auf der anderen Seite der Straße«, sagten sie. »Sie können Sie gerne benutzen – aber wenn Sie hinausgehen und die Tür hinter sich schließen, kommen Sie nicht zurück. Wenn Sie das Gefühl haben, ihn unbedingt anrufen zu müssen, vergessen Sie, was Sie hier machen.«
Und so verbrachte ich meinen dreiundvierzigsten Geburtstag mit verzweifelt kranken Alkoholikern, die sich das ständige seltsame Heulen und Schreien der Drogensüchtigen anhören mussten. Das war das Schlimmste. Ich weiß nicht, woran es lag, ob es auf irgendeinen Wirkstoff in ihrem Heroin zurückführen war, doch sie hörten offenbar nie auf, herumzuschreien. Vielleicht wurde ich zum Mittelpunkt der Behandlungsgruppe, weil ich in besserer Verfassung war. Ich will nicht behaupten, dass ich eine Art Führungsfigur war, doch irgendwie zog ich die Gruppe mit. Dies war für mich eine wichtige Entdeckung, da ich meine eigenen schlimmen Geschichten mit denen anderer vergleichen konnte, die häufig um ein Vielfaches schlimmer waren. Wir waren alle wirklich ziemlich übel dran, doch die anderen unterstützten auch mich. Der größte Unterschied zwischen uns bestand darin, dass kaum eine von den anderen wusste, wohin sie gehen sollte, wenn sie mit der Behandlung in der Klinik fertig war. Keine Freunde, keine Familie. Wenn ich an meine Grenzen stieß, machte ich mir klar, dass ich Mattia, meine Kinder, meine Mutter und meine Freundinnen hatte, die alle auf mich warteten, und wenn ich es trotzdem hier drinnen nicht schaffte, genauso gut gleich ganz abtreten konnte.
Wenn die anderen Frauen hier rauskamen, warteten nur die Männer auf sie, die sie zur Prostitution zwingen, wieder von Drogen abhängig machen und zu kriminellen Handlungen erpressen wollten. Die meisten von ihnen hatten schon mit sechzehn eigene Kinder. Ich dachte an meine eigenen unglücklichen Erinnerungen aus der Zeit in diesem Alter, und mir wurde klar, wie privilegiert ich in Wahrheit gewesen war. Ich saß in der Runde und erklärte, wie schrecklich es sei, als Kind und Jugendliche zum Gespött der anderen zu werden, und was für einen Schatten diese Erfahrung über mein Leben geworfen hatte, doch im Vergleich zu dem, was diese Mädchen durchgemacht hatten, war das gar nichts. Und so verwunderte es nicht, dass die anderen, sowie sie klarer denken konnten, so lange wie möglich in der Klinik bleiben wollten. Dort fühlten sie sich wenigstens in Sicherheit, während die Welt da draußen ihnen nichts zu bieten hatte. Bei den Sitzungen mit dem Psychiater ging es darum, herauszufinden, was bei mir schiefgegangen war, doch es fiel mir schwer, mich zu öffnen – ich glaube, meine Ängste hatten alle damit zu tun, dass ich zum allerersten Mal ernsthaft aufgefordert wurde, meine Dämonen herauszulassen. Ich hatte Gelegenheit »loszulassen«, ohne dass mich jemand beobachtete und beurteilte. Zu den Übungen gehörte es, einen Abschiedsbrief an meinen Vater und einen anderen an meine Krankheit zu schreiben. Ich beschloss, Letzteren persönlich an eine Flasche Jack Daniel’s zu richten:
Die Mitarbeiter der Klinik arbeiteten beharrlich daran, diesen Knoten in meinem Magen zu entwirren, und obwohl viele der Sitzungen für mich harte Arbeit waren, wollte ich es wirklich schaffen. Nur so hatte ich eine Chance; niemals hätte ich mich gegen die Behandlung sperren und trotzdem trocken werden können.
Inzwischen glaube ich, dass ich für den Rest meines Lebens keinen Psychiater mehr brauchen werde, andererseits weiß ich, dass die AA-Treffen – wenn auch in unregelmäßigen Abständen – eine Konstante bleiben werden. Es ist so hilfreich, mit anderen Menschen über meine Probleme und die Zukunft zu sprechen. Außerdem liebe ich es, andere Geschichten zu hören und zu erfahren, mit welchen Situationen sich andere Menschen herumschlagen müssen. Es erweitert meinen Horizont,
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