Im Leben wird dir nichts geschenkt.
hatte. Er drehte durch, als seine Mutter starb, und landete in der Klinik. Sein Vater ließ sich niemals blicken, dabei war der Bursche ein netter Junge und ich erfuhr eine ganze Menge über ihn. Drei Monate, nachdem ich die Klinik verlassen hatte, starb er an einer Überdosis: Er war zweiundzwanzig Jahre alt.
Nach diesen ersten fünf Tagen wurde mein Valium langsam reduziert, doch ich hatte immer noch keine Erlaubnis, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen, nicht einmal mit Mattia. Ich war die ganze Sache leid, und es erschien mir lächerlich. In der Gesellschaft all dieser Verrückten ging es mir vergleichsweise gut, und doch genehmigten sie mir nicht einmal fünf Minuten mit Mattia; ich war mir sicher, dass ich es nicht nötig hatte, länger zu bleiben.
»Es steht Ihnen frei jederzeit zu gehen«, sagten sie, »doch falls Sie Ihre Behandlung vorzeitig abbrechen, bezahlt sie Ihre Krankenversicherung nicht.«
»Ist mir egal, ich muss weg, ich bin damit fertig. Hier sind einfach zu viele Leute, und ich kann mich an diese Lebensweise nicht gewöhnen. Das sind Kriminelle, Mörder und Drogensüchtige. Die sind zehnmal schlimmer als ich!«
»Kein Problem, Brigitte«, sagten sie. »Wenn Sie das wollen, nur zu. Tun Sie, was für richtig halten. Bemühen Sie sich, nicht wieder übermäßig Alkohol zu trinken, und denken Sie an die Sache mit der Versicherung. Und Sie sollten wissen, dass Sie nie wieder kommen können, wenn Sie unter diesen Umständen gehen.« Es klang höflich doch bestimmt, und ich wusste, dass sie es meinten. Ich blieb.
Jeden Tag bestand die erste Aufgabe nach dem Frühstück darin, die Bäder und die Küchen zu reinigen, die Böden zu schrubben, die Fenster zu putzen und den Geschäftsbereich aufzuräumen. Diejenigen, die schon am längsten dort waren, teilten die Aufgaben zu, wobei die Bäder der unangenehmste Teil waren. Mit einem Paar dicken Gummihandschuhen kniete ich mich in die Duschen, und während ich die Scheiße und die Kotze wegschrubbte, dachte ich an mein Millionen-Dollar-Haus in den Hollywood Hills. Um mich vom dem Gestank abzulenken, führte ich mir die Höhepunkte meines Lebens vor Augen – die Ehe mit Sylvester, die Filme, die Musikalben … was auch immer.
Am Vormittag ging es mit einem Gruppentreffen zu den zwölf Schritten weiter, dem systematischen Plan für Suchtkranke, den die Anonymen Alkoholiker berühmt gemacht haben. Wir tauschten in der Gruppe unsere Gedanken aus und sprachen jeweils über die Fortschritte in unserer Behandlung. Zwar war einiges davon hilfreich für mich, andererseits kam ich nicht damit zurecht, wie jeder letzte Winkel meines Lebens ausgeleuchtet wurde. Für viele mag das perfekt funktionieren, doch für mich hatte es einen Anflug von Gehirnwäsche. Heute besuche ich nicht so viele AA-Treffen, wie mir damals geraten wurde, doch bei diesen Begegnungen wurde mir nachhaltig klar, dass ich süchtig war und für den Rest meines Lebens Gefahr laufe, rückfällig zu werden.
Suchtärzte würden wahrscheinlich sagen, dass es typisch für die Krankheit sei, wenn ich mich für ein Abendessen mit Mattia statt eines der Alkoholikertreffen entscheiden würde. Doch ich brachte es einfach nicht über mich. Dennoch gaben mir diese Zusammenkünfte das Rüstzeug an die Hand, um selbst dafür zu sorgen, dass ich in meinem Leben nie wieder in diese Sackgasse geraten würde. Ich glaube, ich will damit nur sagen, dass jeder, der schon in einer ähnlichen Situation gewesen ist, seinen eigenen Weg finden muss. Hören Sie auf das, was beim Entzug geraten wird, und finden Sie dann heraus, was für Sie das Beste ist. Nach dem Mittagessen folgten zermürbende Sitzungen mit einem Psychiater, und obwohl wir keine Musik hören oder fernsehen durften, wurden gelegentlich Filme vorgeführt. Wer dabei auf ein bisschen Ablenkung und Zerstreuung hoffte, wurde enttäuscht, denn das Einzige, was wir zu sehen bekamen, waren Dokumentarfilme über Alkoholismus oder Drogenmissbrauch.
Mir wurde eine persönliche Betreuerin zugeteilt, die sich über sämtliche Gespräche, die wir miteinander führten, detaillierte Notizen machte. Wenn sie schätzen sollte, wie lange ich in der Klinik bleiben musste, war sie immer schonungslos offen. Ich fand das alles schrecklich deprimierend. Jeder Tag verlief wie der andere. Kaum waren wir wieder im gemeinsamen Schlafzimmer, setzte sich eins der anderen Mädchen aufs Bett und starrte ins Leere; eine andere junge Frau weinte sich unterdessen in den Schlaf. Es
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