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Im Leben wird dir nichts geschenkt.

Im Leben wird dir nichts geschenkt.

Titel: Im Leben wird dir nichts geschenkt. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Nielsen
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wusste, was man in einer solchen Situation sagt. »Hallo, ich heiße Gitte und bin Alkoholikerin«? Nein, Blödmann. Vielleicht sollte ich einen Namen erfinden. Es wurde mir alles zu viel, und so legte ich auf. Danach verließ ich das Haus und ging in den erstbesten Laden, um mir die erstbeste Flasche Wodka reinzuziehen, die ich finden konnte – egal, welche Sorte und welche Menge. Bevor ich erneut zum Telefon griff und die Nummer wählte, trank ich die halbe Flasche aus und fühlte mich schon ein wenig unbeschwerter und besser, als der Alkohol Wirkung zeigte.
    »Hallo. Mit wem spreche ich und wie kann ich Ihnen helfen?« Es war die Stimme einer Frau – freundlich, aber bestimmt. Oh Gott, ich musste also wirklich sagen, wer ich bin. Ich lege lieber auf – das wird Schlagzeilen machen. Ich lasse lieber die Finger davon. Doch ich drückte mir weiter den Hörer ans Ohr.
    »Hier spricht Brigitte«, hauchte ich. »Ich trinke zu viel.« Da ich weinte, war ich schwer zu verstehen.
    »Verzeihung, Brigitte, wie heißen Sie mit vollem Namen?«
    »Brigitte Nielsen.«
    »Danke. Ich höre, dass Sie sehr, sehr traurig sind. Wie geht es Ihnen?«
    Jetzt heulte ich richtig los – es war, als hätte mir in diesem Moment jemand einen schmerzhaften Schlag versetzt. Die Schleusen waren geöffnet, und meine Beherrschung brach zusammen. »Beruhigen Sie sich, Brigitte, das geht schon in Ordnung. Lassen Sie sich Zeit … leben Sie mit jemandem zusammen?«
    »Mit meinem Freund.«
    »Großartig! Das ist wirklich gut. Sind Sie glücklich miteinander?«
    »Ja«, sagte ich, »aber er hasst es, dass ich trinke.«
    »Gut«, sagte sie. »Deshalb haben Sie sich an die richtigen Leute gewandt. Ich bin froh, dass Sie es getan haben. Packen Sie augenblicklich einen Koffer, kommen Sie morgen Früh mit Ihrem Freund hierher und melden Sie sich bei uns an.« Die Entscheidung war gefallen, und obwohl mich bei der Frage, was mir jetzt bevorstand, die blanke Angst erfasste, hatte ich das Gefühl, dass alles gut werden könnte. Während ich weiter heulte, fuhr sie fort: »Sie glauben also, dass Sie zu viel trinken. Halten Sie sich für eine Alkoholikerin?« Ihre Stimme klang dabei kein bisschen weniger freundlich.
    »Ja«, sagte ich. »Ich glaube, ich bin Alkoholikerin geworden.«
    »Sie glauben , dass Sie Alkoholikerin geworden sind?« Sie sprach weiter in ruhigem, sachlichen Ton, was mir Gelegenheit gab, mich wieder zu fassen. »Haben Sie keine Angst, und vor allem schämen Sie sich nicht – bei uns sind so viele Menschen wie Sie, und noch viel mehr da draußen, die bisher noch nicht bei uns angerufen haben. Wir werden morgen noch nichts tun, was schwierig für Sie ist: Wir werden uns mit Ihnen und Ihrem Freund ein wenig unterhalten, um herauszufinden, wie wir Ihnen helfen können.« Auf diese Weise redete sie mir keine Schuld- oder Minderwertigkeitskomplexe ein. Ich war einfach nur ein Mensch von vielen, der Hilfe brauchte.
    Sowohl Mattia als auch mir standen die Tränen in den Augen, als wir zur Klinik aufbrachen – ich hatte Angst vor dem, was mich erwartete, er war darüber glücklich, dass ich endlich etwas gegen meine Sucht unternahm. Dies war die letzte Last, die ich aus meiner Ehe mit Raoul abzuschütteln hatte.
    Wir wurden von der Frau begrüßt, die mit mir am Telefon gesprochen hatte, wir unterschrieben irgendwelche Formulare, und das war’s auch schon – ich bin noch am selben Freitag geblieben. In den ersten zwei Wochen meines Aufenthalts war jeder Kontakt nach draußen untersagt. Ich fühlte mich, als hätten sie mich ins Gefängnis geschickt – und so weit ging das ja auch nicht an der Wahrheit vorbei. Meine Zufallswahl war nicht auf eine dieser Schickimicki-Kliniken gefallen, die eher einem Kurheim glichen, mit prächtiger Aussicht und diskretem Personal, das einen umsorgte. Vielmehr diente diese Einrichtung vor allem Frauen als letzte Zuflucht, die sonst in einem echten Gefängnis gelandet wären. Sie kamen für sechs Wochen, manche aber auch bis zu anderthalb Jahre – mit anderen Worten: Hier ging es um die schweren Fälle.
    Der Empfangsbereich ähnelte dem einer Privatklinik, mit Blumen und bequemen Sesseln. Nach einer Weile wurde ich alleine durch eine Art Wohntrakt zu einer Reihe ehrfurchtgebietender Türen geführt, die hinter uns ins Schloss fielen. Hinter diesen Türen sah das Gebäude nach einer Mischung aus medizinischer Einrichtung und geschlossener Anstalt aus. War das hier wirklich der richtige Ort für mich? Vielleicht

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