Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)
furchtbar leid", sagte Daniel, als er Lin gegen sieben Uhr anrief. "Aber heute Abend wird es auch wieder nichts mit uns. Jedenfalls bin ich nicht vor neun Uhr zu Hause."
"Das geht ja noch", meinte Lin, "dann ist doch immer noch Zeit, etwas zu unternehmen."
Kinderlose Ehepaare müssen schon eine Menge tun, um ihre Zeit sinnvoll zu verbringen.
"Gehen wir gemeinsam Essen?" , bot Daniel an. Es war sicher nicht der kreativste Vorschlag, trotzdem freute sich Lin darüber.
"Wir essen im CHOW -TOW, und ich bin dabei", sagte Lin.
CHOW -TOW war eine jener chinesischen Kneipen, die nicht nur über ein ausgezeichnetes Essen verfügten, sondern es auch ermöglichten, ein Opiumpfeifchen oder auch einen Joint zu sich zu nehmen.
"Gern", sagte Daniel. "So etwas Entspannendes wäre heute Abend genau das Richtige für mich. Ich muss heute die Verträge für die Landwirte bearbeiten. Dann kann ich abends was Lockeres gut gebrauchen."
Lin war etwas überrascht, weil Daniel so unumwunden zusagte. Aber vielleicht war seine erfolgreiche Arbeit in dieser Textilfirma wirklich so anstrengend, dass er seine bisherige deutliche Abneigung gegen das CHOW-TOW schlicht vergessen hatte.
"Also um neun", sagte Lin. Gerade wegen der angespannten Lage zwischen ihr und Daniel war sie froh, dass sich einmal etwas Positives abzeichnete. Es war ja nicht etwa so, dass sie Daniel hasste oder schwere Abneigungen gegen ihn verspürte. Er war ihr nur mit seiner andauernden Sanftheit etwas zu laff geworden.
"Ich freue mich", sagte Lin und hängte ein.
Zehn Minuten später klingelte das Telefon wieder.
"Hallo!" , sagte Lin.
"Hier ist Ihr Hoffotograf." Eine krächzende Stimme drang an Lins Ohr, bei der sie noch nicht einmal entscheiden konnte, ob sie einer Frau oder einem Mann gehörte.
"Was wollen Sie?"
"Ich will, dass Sie am kommenden Freitag die Null-Uhr Vorstellung im Autokino La Strada besuchen. Nehmen Sie Ihren Viertürer."
"Und?!"
"Ich möchte, dass Sie Ihren weißen Trenchcoat anziehen."
"Meinen ... was?" Lin geriet etwas aus der Fassung. "Da scheint mich jemand sehr gut zu kennen. Jedenfalls hat er mich sehr gut beobachtet. Vielleicht ein Fetischist?", dachte Lin.
"Ihren weißen Trenchcoat!" , wiederholte die Stimme. Sie wurde dabei um kein bisschen angenehmer. "Und unter dem Trenchcoat werden Sie nichts anhaben."
Mit Erstaunen registrierte Lin , dass ihre eigene Gelassenheit zurück kam. Der Typ will kein Geld, dachte sie, und das ist gut so, denn ich habe nicht viel. Er will mich. Vielleicht gibt mir das ein bisschen Macht über ihn. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Vielleicht ist er ein Killer?
"Verlangen Sie den Standplatz 423 und seien Sie absolut pünktlich!"
Der Anrufer hängte ein.
Lin atmete ganz langsam aus.
*****
Es wurde ein schöner Abend mit Daniel. Sie kamen leicht angeturnt nach Hause und schliefen sogar miteinander. Seit sechs Wochen war es das erste Mal , und es war gut, viel weniger aufregend als mit Herwig, aber gut.
******
Gut, dass Daniel zu einem Arbeitsessen unterwegs war. Das machte es für Lin überflüssig, ein eigenes zu erfinden. Die weiße SAAB-Limousine schob sich mit elegantem Surren durch die nächtliche Stadt. Die Ausfallstraßen waren schon merklich spärlicher befahren. Kein Vergleich mehr zur Rushhour zwischen 17 und 19 Uhr. Nackt unter dem Trenchcoat fühlte sich Lin entblößt und gleichzeitig attraktiv und damit stark, ein seltsames, zwiespältiges Gefühl, das sie noch nicht kannte. Als ihr das große LA STRADA-Schild entgegen leuchtete, gab es ihr einen Schlag in den Magen. Daran änderte auch die Beretta im Handschuhfach nichts. Lin hatte die Waffe eingesteckt, um dem Erpresser ernsthaften Widerstand bieten zu können, wenn er zu viel verlangte. Die Frage war nur, ob sie die Nerven hatte, die Grenze einzuhalten, die sie einhalten wollte. Lin zitterte ein wenig. Sie bezahlte ihren Eintritt und bekam einen Autolautsprecher überreicht. Dem Einweiser auf dem Fahrrad rief sie zu: "Nr. 423!" Schwankend fuhr er vor ihr her und lotste sie auf den angegebenen Platz. Lin stellte den Motor ab und sah auf die Uhr neben dem Tachometer. Es war genau 24.00 Uhr. Sie war pünktlich. Reklame huschte über die riesige Filmleinwand. Lin pegelte ihren Lautsprecher ein. Der SAAB stand etwas abseits, sehr nahe am Zaun. Der Hauptfilm begann. Erst jetzt nahm Lin wahr, dass sie in einen Gruselfilm geraten war: Der Froschtraum. Gerade dachte sie daran die Lautsprecherstärke wieder
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